Wirtschaft und Märkte

Wirtschaftliche Normalisierung setzt sich fort, EZB lässt Leitzinsen unverändert

USA: WIRTSCHAFTLICHE DYNAMIK LÄSST WEITER NACH – NORMALISIERUNG AUF DEM ARBEITSMARKT UND BEI DER INFLATION UNTERMAUERN AUSSICHT AUF ZINSSENKUNGEN IM ZWEITEN HALBJAHR

Die US-Wirtschaft verliert weiter an Dynamik, wie der Rückgang der Frühindikatoren im Juni zeigt. So zeigt die Umfrage des Institute for Supply Management (ISM) für das verarbeitende Gewerbe, dass der Sektor weiterhin zu kämpfen hat und keine wirkliche Erholung in Sicht ist. Der Gesamtindex ist leicht gesunken und liegt weiterhin unter der Marke von 50 Indexpunkten12 (siehe Chart 3). Etwas Unterstützung kam von den Auftragseingängen, die sich nach einem Einbruch im Mai wieder etwas erholten, aber immer noch schwach sind. Die Teilindizes für Produktion, Beschäftigung und Lagerbestände sind allesamt gesunken, und die anhaltend schwachen Auftragseingänge deuten darauf hin, dass die Produktion im verarbeitenden Gewerbe in den kommenden Monaten stagnieren dürfte. Auch die ISM-Umfrage für den Dienstleistungssektor hat sich im Juni unerwartet deutlich abgeschwächt, der Gesamtindex ist sogar erneut unter die 50er-Marke gefallen. Dieser Rückgang deutet darauf hin, dass die Verbraucher ihre Ausgaben für Dienstleistungen, die nach der Pandemie überdurchschnittlich hoch waren, wieder einschränken und angesichts der verzögerten Auswirkungen der restriktiveren Geldpolitik stärker auf ihr Portemonnaie achten. Gleichzeitig geben die Verbraucher weniger für Freizeitaktivitäten aus und konzentrieren sich stärker auf lebensnotwendige Güter wie Gesundheitsdienstleistungen.

Die nachlassende wirtschaftliche Dynamik spiegelt sich auch auf dem Arbeitsmarkt wider. Zwar konnte die Zahl der Erwerbstätigen außerhalb der Landwirtschaft im Juni um mehr als 200.000 Stellen gesteigert werden, dies wurde jedoch durch einen Anstieg der Beschäftigtenzahlen in der öffentlichen Verwaltung und im Gesundheitswesen begünstigt. In der Privatwirtschaft (ohne Bildung und Gesundheit) stieg die Zahl der Beschäftigten nur um 54.000. Auch für die Monate April und Mai wurden die Zahlen nach unten korrigiert. Im Vergleich zum Vorjahresmonat ist die Gesamtinflation im Juni erneut gesunken, und zwar von 3,3 % im Mai auf 3,0 %, während die Kernrate von 3,4 % auf 3,3 % zurückging (siehe Chart 3). Damit setzt sich der Disinflationstrend13 in Richtung 2 % fort, der vor allem von zwei starken Kräften, den Wohnungsmieten und den Autopreisen, getrieben wird. Beide Komponenten dürften die Inflation auch in den kommenden Monaten weiter nach unten drücken. Zusammen mit den Anzeichen für eine Abkühlung am Arbeitsmarkt dürften die Inflationsdaten vom Juni das Vertrauen der US-Notenbankvertreter stärken, dass die Zeit für Zinssenkungen bald gekommen ist.

In seiner halbjährlichen Rede vor dem US-Kongress bekräftigte Fed-Präsident Powell im Juli den geldpolitischen Kurs der US-Notenbank. Laut Powell ist der Arbeitsmarkt nach wie vor robust und nahezu ausgeglichen, ohne Anzeichen einer Überhitzung. Auch die Wirtschaft expandiere weiterhin in einem soliden Tempo. Darüber hinaus merkte er an, dass die jüngsten monatlichen Inflationszahlen bescheidene Fortschritte zeigten, dass aber weitere Daten in dieser Richtung notwendig seien, um mehr Vertrauen zu gewinnen, dass sich die Inflation nachhaltig in Richtung 2 % bewegen werde. Dies könnte darauf hindeuten, dass die jüngste Inflationsprognose bei der Fed-Sitzung im Juni etwas zu pessimistisch ausgefallen ist. Zudem ist eine höhere Inflation nicht das einzige Risiko, mit dem die Fed konfrontiert ist. Eine zu späte oder zu geringe Lockerung der Geldpolitik könnte Konjunktur und Beschäftigung über Gebühr schwächen. Dennoch bleibt Powell zurückhaltend, wenn es darum geht, frühzeitig den Beginn einer geldpolitischen Lockerung zu signalisieren. Wir erwarten, dass das Symposium in Jackson Hole (22. bis 24. August 2024) dazu genutzt wird, die bevorstehende geldpolitische Wende anzukündigen. 

EURORAUM: AUFSCHWUNG SCHWÄCHT SICH AB, BLEIBT ABER INTAKT – EZB BEHÄLT LEITZINSEN BEI UND HÄLT SICH ALLE OPTIONEN OFFEN

Die Frühindikatoren deuten darauf hin, dass die Konjunktur im Euroraum zum Ende des zweiten Quartals an Schwung verloren hat. Dennoch gehen wir davon aus, dass sich der Aufschwung vom Jahresbeginn im zweiten Quartal fortgesetzt hat. Auf Länderebene liegt der Einkaufsmanagerindex für Deutschland bei knapp über 50 Punkten, was auf eine Stagnation der deutschen Wirtschaft im Juni hindeutet (siehe Chart 4). In Frankreich schrumpft die Wirtschaft weiterhin, wenngleich sich das Tempo des Rückgangs zumindest verlangsamt hat; der Gesamtindex liegt knapp unter 49 Punkten. Italien und Spanien liegen weiterhin deutlich über der 50-Punkte-Marke und zeigen, dass die beiden südlichen Volkswirtschaften nach wie vor kräftig wachsen, auch wenn sich hier die Dynamik zuletzt abgeschwächt hat. Insbesondere der spanische Index liegt mit über 55 Punkten im europäischen Vergleich weiterhin am oberen Ende, so dass das konjunkturelle Gesamtbild im Euroraum im Juni weitgehend unverändert bleibt. 

Der Rückgang der Inflation im Euroraum setzt sich unterdessen nur langsam fort. So sank die Verbraucherpreisinflation im Euroraum im Juni auf 2,5 % gegenüber dem Vorjahr, nachdem sie im Vormonat auf 2,6 % gestiegen war. Die Kernrate verharrte im Juni bei 2,9 %. Das Hauptaugenmerk liegt nach wie vor auf der anhaltenden Hartnäckigkeit der Dienstleistungspreise in der Kernrate (exklusive Energie und Nahrungsmittel, siehe Chart 4), wo die weiterhin hohe Teuerung bei einer Reihe von Komponenten (u.a. Versicherungen, Pauschalreisen, Hotels) zu den Haupttreibern zählt. Bei den Kerngütern hingegen wirkt eine Deflation der Preise für langlebige Güter dämpfend. Auch wenn der Disinflationstrend hartnäckig bleibt, gehen wir davon aus, dass der nachlassende Lohndruck auch die Kerninflation senken und die Gesamtinflation in der zweiten Jahreshälfte weiter in Richtung 2 % drücken wird.

Wie erwartet hat die EZB ihre Geldpolitik im Juli unverändert gelassen. Darüber hinaus hat sie ihren datenbasierten Ansatz bekräftigt und sich hinsichtlich der Aussichten auf weitere Zinssenkungen zurückhaltend geäußert. Wichtig ist jedoch, dass EZB-Präsidentin Lagarde einräumte, dass die neuen Informationen die Inflationseinschätzung vom Juni „weitgehend stützen“, so dass die Notenbank auf dem Weg zu weiteren Zinssenkungen bleibt. Bei der nächsten Sitzung im September wird eine Reihe neuer makroökonomischer Prognosen veröffentlicht. Da wir davon ausgehen, dass die Inflationsprognose der EZB weitgehend bestätigt wird, erscheint eine weitere Zinssenkung um 25 Basispunkte (Bp) im September wahrscheinlich. Wir bleiben bei unserer Einschätzung, dass die EZB in einen langsamen Lockerungszyklus mit Zinssenkungen um 25 Bp pro Quartal bis Ende nächsten Jahres eingetreten ist.

CHINA: KONJUNKTURELLE ERHOLUNG IM ZWEITEN QUARTAL BLEIBT HINTER ERWARTUNGEN ZURÜCK

Das BIP-Wachstum Chinas verlangsamte sich im zweiten Quartal von 5,3 % im ersten Quartal auf 4,7 % gegenüber dem Vorjahresquartal und lag damit deutlich unter den Marktschätzungen von 5,1 % (siehe Chart 5). Hauptursache für den Rückgang war ein langsameres Wachstum der Einzelhandelsumsätze. Die Binnennachfrage und das Verbrauchervertrauen blieben schwach, obwohl auch saisonale Effekte (wie extreme Wetterereignisse und Überschwemmungen) dämpfend wirkten. Dagegen übertraf das Wachstum der Industrieproduktion die Markterwartungen, was den uneinheitlichen Charakter der chinesischen Erholung unterstreicht. Eine relativ starke Auslandsnachfrage stützte das verarbeitende Gewerbe: Die Exporte stiegen im Juni um mehr als 8 % gegenüber dem Vorjahr, nach einem Plus von rund 7,5 % im Mai. Der sekundäre Sektor, der die verarbeitende Industrie und das Baugewerbe umfasst, wuchs im zweiten Quartal um mehr als 5 % gegenüber dem Vorjahr, nach noch 6,0 % im ersten Quartal, während der tertiäre Sektor, der die Dienstleistungen umfasst, nur noch um gut 4 % zulegte, nach 5 % im ersten Quartal.

Der Immobilienmarkt zeigt trotz anhaltender Schwäche erste Anzeichen einer Bodenbildung. So sanken die Preise für neue Eigentumswohnungen im Juni zwar weiter, jedoch weniger stark als im Vormonat. Ähnlich, wenn auch weniger ausgeprägt, entwickelte sich das Verkaufsvolumen von Wohnimmobilien. Stärkere Wohnungsverkäufe stützten die Bauträgerfinanzierungen, so dass der Rückgang in diesem Segment im Juni mit rund 12 % gegenüber Vorjahr etwas geringer ausfiel als im Mai (siehe Chart 5). Zudem gibt es Anzeichen für eine Belebung der Nachfrage in den wichtigsten Städten. Dennoch befindet sich der Immobilienmarkt seit nunmehr drei Jahren in einer deutlichen Schwächephase, die sich auch im Verbrauchervertrauen und Konsum widerspiegelt. Die schwache wirtschaftliche Entwicklung seit der Coronapandemie belastet weiterhin die Konsumpläne der privaten Haushalte und damit auch die Nachfrage nach Wohneigentum.

Auch die chinesischen Frühindikatoren lieferten im Juni ein eher gemischtes Bild. Der Caixin Einkaufsmanagerindex entwickelte sich im Juni besser als der offizielle Index und setzte damit den Trend seit der Wiedereröffnung der chinesischen Wirtschaft Anfang letzten Jahres fort. Der Index erreichte mit knapp 52 Punkten den höchsten Stand seit sechs Monaten, während der offizielle Einkaufsmanagerindex des Nationalen Statistikamtes unverändert bei knapp unter 50 Punkten verharrte. Der Caixin-Einkaufsmanagerindex für den Dienstleistungssektor fiel im Juni auf knapp über 50 Punkte, den niedrigsten Stand seit Oktober 2023. Der Rückgang war größtenteils saisonal bedingt, nachdem der Index im Mai von einem starken Anstieg des Inlandstourismus aufgrund der Goldenen Woche (arbeitsfrei) profitiert hatte. Der offizielle Index für den Dienstleistungssektor sank auf etwas über 50 Zähler, was auf eine Verlangsamung des Wachstums hindeutet.

FINANZMÄRKTE: AUSSICHTEN AUF SOFT-LANDING UNTERSTÜTZT, ABER POLITISCHE FAKTOREN BELASTETEN ZULETZT DIE MÄRKTE WELTWEIT

Der Juni war von einer grundsätzlich positiven Stimmung an den globalen Finanzmärkten geprägt. Die Aussichten auf eine „sanfte Landung“ der US-Wirtschaft und eine allmähliche Erholung im Euroraum wurden durch eine weiterhin solide Entwicklung der Weltwirtschaft (trotz einer etwas schwächeren Wirtschaftsentwicklung in China) gestützt. In den USA zeichnete sich zwar insbesondere aufgrund der hartnäckig erhöhten US-Inflationszahlen eine etwas hawkischere14 Geldpolitik ab, die jüngsten Zahlen und Äußerungen von Vertretern der US-Notenbank deuten jedoch auf eine weiterhin dovische Grundhaltung und damit ein intaktes Zinssenkungsnarrativ hin. Davon profitierten im Berichtszeitraum (1. Juni bis 19. Juli) vor allem die Technologiewerte in den USA, die die dortigen Aktienindizes stützten. In Europa hingegen belasteten der Ausgang der Europawahlen (Mitte Juni) sowie die Neuwahlen in Frankreich (Ende Juni) die europäischen Aktienwerte (siehe Tabelle).

Die Erwartung baldiger Zinssenkungen hinterließ auch an den Rentenmärkten ihre Spuren. So hielt die Nachfrage nach Anleihen im Berichtszeitraum an, was sich in sinkenden Renditen sowohl in den USA als auch im Euroraum niederschlug (siehe Tabelle). Die für Ende Juni angesetzten Neuwahlen in Frankreich führten vorübergehend zu einem Anstieg der Renditeaufschläge französischer Staatsanleihen und anderer Peripherieländer, wie Italien und Spanien (siehe dazu auch Teil „Im Fokus“). Die Tatsache, dass der rechtspopulistische Rassemblement National im zweiten Wahlgang der Parlamentsneuwahl in Frankreich letztlich nur drittstärkste Kraft wurde und auch ein Linksbündnis keine Mehrheit im Parlament erringen konnte (so dass die bisherige Regierung unter Emmanuel Macro erstmals geschäftsführend im Amt bleibt), ließ die Renditeaufschläge wieder deutlich sinken.

Die Ölpreise verzeichneten im Juni einen deutlichen Anstieg, der durch die Bestätigung der Förderkürzungen der OPEC+ (Organisation erdölexportierender Länder plus Russland) bis Ende 2025 und die Aussicht auf eine stabile Ölnachfrage – aufgrund solider globaler Wachstumsaussichten und positiver geldpolitischer Impulse – gestützt wurde. Letztere wurde im Juli durch die schwachen Wachstumszahlen Chinas für das zweite Quartal etwas in Frage gestellt, woraufhin die Ölpreise ihre Gewinne in der ersten Julihälfte wieder ein Stück weit abgaben (siehe Tabelle). Der Goldpreis legte im Berichtszeitraum deutlich zu (siehe Tabelle), getrieben von der Aussicht auf eine dovischere US-Geldpolitik und zwei weitere Zinssenkungen in der zweiten Jahreshälfte 2024. In diesem Umfeld zeigte sich der Wechselkurs des Euro gut unterstützt und konnte gegenüber dem US-Dollar weiter zulegen (Stand: 19. Juli, siehe Tabelle), nachdem er im Vorfeld der Europawahlen etwas an Boden verloren hatte.

12 Werte unter der Marke von 50 Indexpunkten deuten in der Regel auf eine Kontraktion der wirtschaftlichen Aktivität hin.

13 Disinflation bezeichnet eine Situation, in der die Inflationsraten im Zeitverlauf zwar sinken, aber immer noch über null liegen.

14 Hawkisch („dt. falkenhaft“) beschreibt eine geldpolitische Haltung, die eher auf die Kontrolle der Inflation als auf die Ankurbelung des Wirtschaftswachstums abzielt. Das Gegenteil ist dovisch (dt. „taubenhaft“).