CIO Kommentar

Auf dem Weg zu mehr Balance

Ein ereignisreiches erstes Halbjahr liegt hinter uns, und man kann sich angesichts der Entwicklungen bezüglich der US-Präsidentschaftswahl im November getrost die Frage stellen, ob es überhaupt zu dem oft zitierten Sommerloch kommen wird – arm an Schlagzeilen werden die kommenden Monate vermutlich nicht sein.

Aber werfen wir zunächst einen Blick in den Rückspiegel und lassen die vergangenen Monate noch einmal Revue passieren. Fast schon in Vergessenheit geraten ist, dass zu Beginn des Jahres 2024 vielfach vor einer möglichen Rezession in den USA gewarnt wurde. Diese Warnungen sind mittlerweile fast vollständig verstummt. Wie wir im Kapitel „Wirtschaft und Märkte“ darlegen, lässt die Dynamik der US-Wirtschaft weiter nach, was zu einer Normalisierung am Arbeitsmarkt und bei der Inflation führt und damit die Aussicht auf eine erste Zinssenkung in den USA in der zweiten Jahreshälfte erhöht. Das solide US-Wachstum hat dazu geführt, dass die zu Jahresbeginn in den Anleihekursen eingepreisten ausgeprägten Zinssenkungsfantasien sukzessive wieder ausgepreist wurden, was zu (temporären) Kursverlusten in den Rentenportfolios führte. Diese Entwicklung betraf im Übrigen nicht nur die USA, sondern auch Europa. Hierzulande hat die Europäische Zentralbank (EZB) die Zinsen zwar bereits einmal gesenkt, und es könnten weitere Zinssenkungen1 folgen. Das Ausmaß möglicher Zinssenkungen bis zum Jahresende dürfte jedoch deutlich geringer ausfallen als zu Jahresbeginn erwartet.

Die Aktienseite verhielt sich umgekehrt. Die robuste wirtschaftliche Lage hat die Börsen beflügelt. In Erwartung steigender BIP-Wachstumsraten und moderat sinkender Zinsen sind auch die Gewinnerwartungen der Unternehmen gestiegen. Für die Unternehmen in den großen europäischen Aktienindizes werden lt. Konsensschätzung2 jährliche Gewinnsteigerungsraten in den Jahren 2025 und 2026 von knapp unter 10 % und für die von US-Indizes sogar von etwas über 10 % erwartet. Und auch die in den letzten Jahren gebeutelte deutsche Wirtschaft sollte wieder zulegen: Für deutsche Aktien werden in den kommenden zwei Jahren im Durchschnitt ähnlich hohe Gewinnwachstumsraten wie in den USA erwartet. Angesichts immer noch moderater Bewertungen gemäß Kurs-Gewinn-Verhältnis (KGV) spiegeln die aktuellen Kurse, die in der ersten Jahreshälfte einen überraschend starken Anstieg verzeichneten, zwar zum Teil die Gewinnwachstumserwartungen für 2025 wider, die Märkte sind aber auch für 2026 ähnlich optimistisch wie für 2025. Diese Erwartungen könnten daher weitere Kursanstiege motivieren. Sollten sich die aktuellen Markterwartungen an die wirtschaftliche Entwicklung bzw. die Unternehmensgewinne als zu opmimistisch erweisen, könnte dies Rückschläge an den Aktienmärkten mit sich bringen.

Aber nicht nur das erste Halbjahr war geprägt von bemerkenswerten Entwicklungen, auch die vergangenen Tage und Wochen zeigten interessante Wendungen. In der Folge der als schwach empfundenen Debattenleistung des amtierenden US-Präsidenten Joe Biden im TV-Duell mit Donald Trump hatten die Wahlchancen des Kandidaten der Republikanischen Partei zugenommen. Nach dem gescheiterten Attentat war die Wahrscheinlichkeit für einen Wahlsieg Trumps weiter gestiegen. Die Märkte begannen den sogenannten „Trump Trade“, also die wahrscheinlichsten Implikationen einer zweiten Trump-Präsidentschaft einzupreisen. Diese wurden getrieben von den vermuteten zentralen Leitlinien einer möglichen Trump-Administration: eine lockere Fiskalpolitik (aufgrund nicht gegenfinanzierter Steuersenkungen), eine auf höhere Zölle fokussierte Handelspolitik und eine weniger strikte Regulierung in einigen Wirtschaftsbereichen. Vor diesem Hintergrund stiegen die US-Renditen an (eine lockere Fiskalpolitik zieht den Bedarf nach weiter steigenden Staatsschulden und somit verstärkter Emission von US-Staatsanleihen nach sich) und Aktien von Unternehmen aus stark regulierten Branchen wie dem Gesundheits-, Energie- und Bankensektor legten zu.

Nach dem Verzicht von Joe Biden auf eine erneute Kandidatur kam es teilweise zu einer Gegenbewegung, da die Märkte daraus eine etwas geringere Wahrscheinlichkeit eines Trump-Wahlsieges einpreisen. Betrachtet man jedoch die auf Marktmechanismen basierenden Wahlprognoseplattformen, so gilt Donald Trump zum Zeitpunkt des Redaktionsschlusses immer noch als klarer Favorit auf den Wahlsieg. Glaubt man diesen Plattformen, dürfte seine Herausforderin mit großer Wahrscheinlichkeit die aktuelle Vizepräsidentin Kamala Harris werden. Bis zur Entscheidung über eine endgültige Nominierung werden aber noch einige Wochen vergehen. Der Nominierungsparteitag der Demokratischen Partei wird vom 19.-22. August stattfinden. Bis dahin dürfte die wahrscheinliche Kandidatin Kamala Harris die Schlagzeilen dominieren. Vor diesem Hintergrund werden die ersten verlässlichen Umfrageergebnisse zu den Wahlchancen von Harris mit großem Interesse erwartet werden.

Ebenso große Spannung dürfte die Frage nach einem oder einer möglichen Kandidaten/in für das Amt des Vizepräsidenten/in werden. Diesbezüglich ist zu berücksichtigen, dass für die Wahl des Präsidenten die Ergebnisse aus einer Handvoll sogenannter Swing States3 wie Michigan, Wisconsin und Pennsylvania von großer Bedeutung sein werden. Nicht zuletzt wird es für die Märkte auf die politische Agenda einer zukünftigen US-Administration ankommen. Und diese wird nicht nur durch das Weiße Haus bestimmt, sondern auch durch die Mehrheitsverhältnisse im Kongress. Zuletzt war der Druck auf Joe Biden, sich aus dem Rennen um die Präsidentschaftskandidatur zurückzuziehen, insbesondere aufgrund der schwindenden Aussichten demokratischer Kongressabgeordneter – sei es im Repräsentantenhaus oder im Senat (Kongress) – in hart umkämpften Wahlkreisen groß geworden. Mit seinem jüngsten Schritt dürften nun wieder vermehrt Spendengelder für das Team des/der demokratischen Präsidentschaftskandidaten/in, aber auch für die Kongressabgeordneten fließen. Das Rennen um die Zukunft der US-Politik scheint wieder offen.

Diese erneute Offenheit in Bezug auf den Wahlausgang bedeutet für die Märkte eine leicht erhöhte Unsicherheit, was sich im Anstieg von klassischen Unsicherheitsbarometern wie dem VIX-Index4 widerspiegelt. Aus unserer Sicht sollte eine derartige Unsicherheit keine langfristig negativen Implikationen für die Märkte haben, denn die wirtschaftlichen Aussichten sind wie eingangs angedeutet weder für die USA noch für Europa schlecht. Die US-Wirtschaft kühlt sich zwar in der Folge der straffen Geldpolitik wie erwartet ab, eine Rezession ist aber äußerst unwahrscheinlich. Auch der Vorsitzende der Federal Reserve (Fed), Jerome Powell, bekräftigte unlängst vor dem US-Kongress, dass sich die ökonomischen Risiken immer ausgewogener darstellten. Konsensschätzungen sehen bereits in den kommenden Quartalen wieder deutlicher steigende BIP-Wachstumszahlen für die USA. Auch Europa dürfte die Durststrecke überwunden haben; für den Euroraum werden in den kommenden Quartalen ähnliche hohe Wachstumsraten wie in den USA erwartet. Die Zentralbanken dürften in der zweiten Jahreshälfte endgültig in den Zinssenkungszyklus eintreten, und die Unternehmensgewinne dürften steigen. Diese Entwicklung dürfte vermutlich weder von Trump noch von einer demokratisch geführten Administration ins Negative gedreht werden. Dass die Fed die Zinsen wider Erwarten länger als erwartet auf dem derzeitig hohen Niveau belässt oder die restriktiven geldpolitschen Bedingungen doch einen spürbaren wirtschaftlichen Abschwung nach sich ziehen, bleiben unserer Einschätzung nach Risikoszenarien.

Besonders bemerkenswert an der allgemeinen Wirtschafts- und Marktlage ist, dass diese ein nahezu perfektes Szenario für Multi-Asset-Portfolios darstellt. Ein moderates, aber stabiles Wirtschaftswachstum mit sinkenden Zinsen (aufgrund des nachlassenden Inflationsdrucks) sollte sowohl Aktien- als auch Rentenmärkte unterstützen. Die kommenden Monate dürften aufgrund der Wahlentwicklung in den USA spannend bleiben. Sofern keines der genannten Risikoszenarien eintritt, sollte sich die Spannung an den Märkten jedoch in Grenzen halten.

 

 

Manuela D’Onofrio, Head of Group Investment Strategy

Philip Giskdakis, Chief Investment Officer Germany, UniCredit Bank GmbH (HypoVereinsbank)

Alessandro Caviglia, Chief Investment Officer Italy, UniCredit SpA

Oliver Prinz, Co-Chief Investment Officer of UniCredit Bank Austria AG and Schoellerbank AG

Nach der Sommerpause werden auch für die USA Zinssenkungen erwartet.

Die Konsens-Schätzung ist der Median in der Verteilung der einzelnen Schätzungen. Der Median ist der Wert, der genau in der Mitte einer Datenreihe liegt, die nach der Größe geordnet ist. Er halbiert die Datenreihe, sodass eine Hälfte der Daten unterhalb und die andere Hälfte oberhalb des Medians in der geordneten Reihe liegt.

Als Swing States werden solche US Bundesstaaten bezeichnet, in denen das Wahlergebnis erwartungsgemäß knapp ausfällt und in der Vergangenheit oft von einer Partei zur anderen gewechselt ist. Dies ist wichtig, da die große Mehrheit der Staaten oftmals klar entlang von Parteigrenzen wählen.

Der VIX misst die implizite (also aus Aktienoptionen abgeleitete) Volatilität, die zuletzt leicht angestiegen ist.