CIO Kommentar
Richtungswechsel
Zinssenkungen und US-Wahlen unter der Lupe
In ihrer jüngsten Zinssitzung hat die US Zentralbank Federal Reserve (Fed) die Zinsen wie erwartet erstmalig seit 2020 gesenkt. Nachdem im Vorfeld an den Märkten heiß darüber diskutiert wurde, ob die Fed um 25 Basispunkte (Bp) oder 50 Bp senken würde und die Märkte zuletzt zum größeren Schritt tendierten, hat sie den Zinssenkungszyklus mit einem 50-Bp-Schritt eingeläutet. Als Begründung sagte Fed-Präsident Jerome Powell: „Der Arbeitsmarkt befindet sich in einer soliden Verfassung, und mit unserem heutigen Schritt wollen wir dafür sorgen, dass dies auch so bleibt.“ Mit anderen Worten: Die Fed möchte das sogenannte „Soft Landing“1 sicherstellen. Die globalen Aktienmärkte reagierten weitgehend positiv auf die Fed-Entscheidung. Das ist eine gute Nachricht, da die Märkte diesen deutlichen Zinsschritt offensichtlich nicht als Signal für eine schwierigere wirtschaftliche Lage interpretierten.
Für die Märkte stellt sich nun die Frage, wie stark die Zinsen im aktuellen Zinssenkungszyklus insgesamt reduziert werden und wie schnell die Fed sich einem solchen Ziel nähern wird. Die Märkte preisen derzeit ein, dass die Fed die Zinsen bis 2026 noch um acht weitere 25-Bp-Schritte senken könnte, insgesamt also um 2 Prozentpunkte (Pp). Laut Markterwartung liegt die Zielmarke also zwischen 2,5 % und 3 %. Darüber hinaus erwartet der Markt, dass die Fed die Hälfte ihrer Zinssenkungen bereits im Januar 2025 geliefert haben sollte. Die Fed-Projektionen selbst sind etwas verhaltener, zeigen sie doch im Median bis Ende 2024 nur zwei weitere Zinssenkungen an und im kommenden Jahr insgesamt vier Zinssenkungen. In der Prognose bezüglich des Endpunktes des Zinssenkungszyklus liegen die Märkte und der Median der Erwartungen der Fed-Gouverneure nicht weit auseinander. Die Fed-Prognose, die bis 2026 erreicht sein sollte, liegt bei 2,875%. Diese Marke entspricht im Übrigen auch der langfristigen Gleichgewichtserwartung der Fed. Letzteres wird oftmals als „neutrale Rate“ interpretiert, d.h. der mit einer stabilen Inflationsrate in einer mittelfristig voll ausgelasteten Volkswirtschaft einhergehende Zinssatz, der vereinfacht gesagt weder stimulierende noch bremsende Wirkungen auf den Konjunkturverlauf hat.
Im Markt setzt sich also zunehmend das „Soft-Landing“-Szenario als wahrscheinlichster Pfad durch. Dieses Szenario ist nicht neu und war bereits im vergangenen Jahr und zu Beginn des Jahres 2024 das vorherrschende. Allerdings wurden im Verlauf des ersten Halbjahres immer wieder Stimmen laut, die ein „No-Landing“-Szenario sogar für das wahrscheinlichere hielten, also ein Szenario, in der es der Zentralbank gelänge, die Inflation ohne eine merkliche Abkühlung der Wirtschaftsaktivität auf das Ziel von 2 % zu drücken. Die zuletzt schwachen US-Arbeitsmarktzahlen rückten mögliche Rezessionsrisiken zwischenzeitlich wieder stärker in den Fokus. Anzeichen dafür, dass eine Rezession bevorstehen würde, lassen sich derzeit aber kaum identifizieren. Die wirtschaftlichen Rahmenbedingungen in den USA sind nach wie vor beeindruckend robust.
In Europa stellt sich die Lage etwas anders dar. Die Hoffnung, dass insbesondere die deutsche Wirtschaft nach den Jahren des Energiepreisschocks bereits in diesem Jahr wieder nachhaltig Tritt fassen könnte, haben sich (noch) nicht bewahrheitet – trotz der Tatsache, dass der Ölpreis mittlerweile wieder auf einem Niveau wie vor Beginn des Ukrainekriegs liegt. Eine Rezession wird zwar weder im Euroraum noch in Deutschland erwartet, die Konsensschätzungen (Median der Analystenerwartungen) deuten aber weiterhin ein niedriges Wachstum an. Für den Euroraum wird in den kommenden Quartalen ein Quartalswachstum von 0,3 % bis 0,4 % erwartet (also annualisiert 1,2 % bis 1,6 %), für Deutschland sogar nur von 0,2 % bis 0,3 % (annualisiert 0,8 % bis 1,2 %). Dennoch zeigen sich sowohl europäische, aber insbesondere auch deutsche Aktien beeindruckend robust. Der DAX ist seit Jahresbeginn um rund 12 % gestiegen, und der STOXX Europe 600, der die 600 größten europäischen Aktien umfasst, ebenfalls zweistellig zugelegt, während der Nikkei sich von seiner sommerlichen Schwäche wieder etwas erholt hat und derzeit bei einem Plus von rund 14 % in japanischen Yen seit Jahresbeginn steht (Gesamtrendite, siehe Tabelle). An der Spitze der großen Aktienmärkte weltweit stehen aber die US-Märkte. Der S&P 500 hat in US-Dollar fast 21 % zugelegt (siehe Tabelle). Die trotz enttäuschender makroökonomischer Lage erstaunlich robuste Entwicklung europäischer Aktien, die zu Verunsicherung bei Anlegern und Investoren führen könnte, lässt sich aus unserer Sicht erklären: Die Aktienmärkte spiegeln nicht immer notwendigerweise die binnenkonjunkturelle Situation wider. Der DAX bildet bekannterweise die Entwicklung der 40 größten deutschen Aktiengesellschaften ab, zu welchen neben den großen Industriewerten (von denen sich zwar einige eher schwach zeigten, etwa aus der Automobilindustrie und der Chemiebranche, andere aber zu den Spitzenperformern gehörten, etwa aus dem Ausrüstungs- und Anlagenbau) auch Unternehmen aus der Finanzbranche und dem Technologiesegment (mit jeweils starker Performance in diesem Jahr) kommen.
Die Performance der Aktienmärkte wird von Erwartungen auf starkes Gewinnwachstum in den kommenden Jahren getragen. Für deutsche Unternehmen wird ein Gewinnwachstum von 13 % im Jahr 2025 und von 10 % im Jahr darauf erwartet – ein kräftiger Anstieg im Vergleich zu den enttäuschenden Jahren 2023 und 2024, in denen die Gewinne kaum gestiegen sind. Deutsche Firmen erreichen damit bei den erwarteten Gewinnen Wachstumsraten, die fast mit den starken Zahlen der US-Unternehmen (16 % im Jahr 2025 und 10 % im Jahr 2026) mithalten können. Für europäische Unternehmen wird in den kommenden beiden Jahren ein Gewinnwachstum von jeweils 8 % erwartet. Darüber hinaus sind die Bewertungen von europäischen und deutschen Unternehmen, gemessen am Kurs-Gewinn-Verhältnis (KGV), nicht sonderlich hoch. Die durchschnittlichen KGVs liegen etwa im Bereich des langfristigen Durchschnitts. Unterstellt man keine Ausweitung der KGVs, sollten die Aktienindizes entsprechend der Gewinnsteigerung zulegen. Für europäische Indizes entspräche das Renditen von knapp unter 10 %, während die für US-Unternehmen sogar knapp über 10 % zulegen könnten. Unveränderte KGVs wären in einer Phase steigender Gewinne und gleichzeitig sinkender Realrenditen (die Zentralbanken werden die Zinsen senken bei vermutlich stabilen Inflationsraten) im historischen Vergleich aber eher ungewöhnlich. Basierend auf historischer Erfahrung könnte man in solch einem Szenario sogar mit leicht steigenden KGVs rechnen.
Sollte also das Basisszenario, das den aktuellen Markterwartungen bzgl. Wirtschafts- und Gewinnwachstum zugrunde liegt, eintreten, erscheinen Performanceerwartungen für globale Aktienportfolios in den kommenden 12-18 Monaten in der Größenordnung von 8 % bis 10 % und für festverzinsliche Portfolios mit guter Bonität in der Größenordnung von 3 % bis 5 % durchaus plausibel. In einem Risikoszenario könnten sich diese Erwartungen gleichwohl als zu optimistisch herausstellen, denn zweifelslos befindet sich die US-Wirtschaft in einer Abkühlungsphase (weswegen die Fed auch begonnen hat, die Zinsen zu senken). Die Markterwartungen reflektieren zwar, wie oben dargelegt, ein „Soft-Landing“-Szenario. Ob es der Fed aber tatsächlich gelingt, die Abkühlung rechtzeitig zu stoppen und eine Rezession zu vermeiden, ist nicht ausgemacht. Auch die US-Wahl sorgt für erhöhte Unsicherheit (siehe Fokus-Teil). Risiken, insbesondere für europäische Märkte, können zudem aus der enttäuschenden wirtschaftlichen Entwicklung in China resultieren. Eine weitere sinkende Nachfrage nach europäischen Exportgütern aus China könnte die Exportwirtschaft belasten. Zuletzt gibt es auch noch eine Reihe geopolitischer Risiken (Ukrainekrieg, Mittlerer Osten und die Spannungen zwischen Taiwan und China), die sich als Belastungsfaktoren herausstellen könnten. Aus diesen Gründen bleiben wir derzeit auch bei einer neutralen Gewichtung bei Aktien und präferieren tendenziell defensive Aktienstrategien. Für eine zyklischere und optimistischere Positionierung bzgl. Aktien erscheint es aktueller Perspektive zu früh. Hierfür sollte sich der wirtschaftliche Entwicklungspfad in den USA und Europa, aber auch in China, erst verlässlicher ins Positive wenden.
Manuela D’Onofrio, Head of Group Investment Strategy
Philip Giskdakis, Chief Investment Officer Germany, UniCredit Bank GmbH (HypoVereinsbank)
Alessandro Caviglia, Chief Investment Officer Italy, UniCredit SpA
Oliver Prinz, Co-Chief Investment Officer of UniCredit Bank Austria AG and Schoellerbank AG
1 Soft Landing beschreibt eine Phase, in der sich das Wirtschaftswachstum verlangsamt, die Wirtschaft aber nicht in eine Rezession gerät. Ein Hard Landing hingegen bezeichnet eine plötzliche und starke Verlangsamung der Wirtschaft, die in der Regel zu einer Rezession führt.