CIO Kommentar

In Wartestellung – Vorsichtiger Optimismus begleitet den Jahresstart

Nach dem eindrucksvollen Schlusssprint der Märkte zum Ende des abgelaufenen Jahres, das ansehnliche Renditen sowohl bei Aktien als auch bei Anleihen ermöglichte, sind die Märkte eher etwas verhalten in das neue Jahr gestartet. Europäische und US-Aktienindizes schwanken um die Jahresschlussstände, die aber gleichzeitig in der Nähe der jeweiligen Allzeit-Hochs liegen. Bei Anleihen hingegen gab es leichte Kursrücksetzer, die darauf zurückzuführen sind, dass die Märkte im Dezember fast schon euphorisch auf schnelle Zinssenkungen gesetzt hatten. Zeitweise wurde die Wahrscheinlichkeit einer ersten Zinssenkung in den USA bereits in der Märzsitzung der Federal Reserve (Fed) mit einer Wahrscheinlichkeit von fast 85 % gepreist. Mittlerweile wird es als einigermaßen wahrscheinlich erachtet, dass sie erst im zweiten Quartal kommt. Auch für die Europäische Zentralbank (EZB) erscheint eine Zinssenkung vor dem zweiten Quartal als sehr unwahrscheinlich.

Die Erwartungshaltung des Marktes bezüglich Zinssenkungen dürfte insbesondere in der ersten Jahreshälfte weiter den Ton angeben. Mit einer gewissen Spannung wird an den Märkten diskutiert, welche der beiden großen Zentralbanken nun zuerst die Zinszügel lockert, denn ungewöhnlicherweise liegen zwischen der ersten geldpolitischen Sitzung der EZB im zweiten Quartal (11. April) und der ersten Fed-Sitzung (1. Mai) mehrere Wochen. Nach wie vor erwarten die Märkte mit einer etwas höheren Wahrscheinlichkeit, dass zunächst die Fed mit einer Zinssenkung vorangehen dürfte und die EZB ihr folgen wird. Dennoch kann man basierend auf den Markt-impliziten Wahrscheinlichkeiten nicht ausschließen, dass die EZB bereits im April vorlegen könnte.

Diese Frage dürfte vermutlich die Kommentarspalten in der Wirtschafts- und Finanzpresse beschäftigen und könnte gegebenenfalls auch etwas Tagesvolatilität ausüben. Nichtsdestotrotz erscheinen die mittelfristigen Auswirkungen auf die Kapitalmarktsituation bezüglich der Frage, ob die erste Senkung nun im April, Mai, Juni oder Juli kommt und welche Zentralbank den ersten Schritt macht, weniger entscheidend zu sein. Wichtig ist nach unserem Ermessen vielmehr, dass der für 2024 erwartete Zinssenkungszyklus bis zur Jahresmitte überhaupt in Gang kommt.

Denn aus unserer Sicht ist das Basisszenario für 2024, dass 1. sich die Inflationsraten in den westlichen Industrienationen weiter normalisieren sollten (unklar ist, wie nahe die tatsächlich realisierten Inflationsraten der Zwei-Prozent-Zielmarke der großen westlichen Zentralbanken, insbesondere von Fed und EZB, bis Ende 2024 kommen werden) und 2. die großen westlichen Zentralbanken die Zinsen senken dürften (offen bleibt – wie oben dargestellt –, wann genau der Zinssenkungszyklus starten wird und wie weit die Zinsen gesenkt werden können). Wir gehen derzeit von Leitzinssenkungen in der Größenordnung von insgesamt 125 Basispunkten (Bp) seitens der Fed und 75 Bp seitens der EZB im Jahr 2024 aus. Zudem deutet 3. vieles darauf hin, dass trotz des vorerst weiterhin restriktiven Zinsniveaus ein sogenanntes „Soft-Landing“1 der Wirtschaftsaktivität beiderseits des Atlantiks erreicht werden kann. 

Das „Soft-Landing“ Szenario lässt sich gut am Beispiel der USA veranschaulichen. Die Konsensus-Schätzungen sehen im dritten Quartal diesen Jahres den Tiefpunkt der wirtschaftlichen Abkühlung, mit einer Wachstumsrate von 0,1 % gegenüber dem zweiten Quartal. Das bedeutet, dass der Konsensus 2024 für die USA in keinem einzigen Quartal eine wirtschaftliche Kontraktion erwartet. Diese Konsensus-Schätzungen basieren auf den Prognosedaten von über 60 Research-Häusern, die Wachstumsprognosen für die USA veröffentlichen. Die Konsensus-Zahl ist dabei der Median2 in der Verteilung der einzelnen Schätzungen. Zwei konsekutive Quartale mit negativem Wachstum, also eine (technische) Rezession erwarten im Übrigen nur 15 % der Analysten, und auch dann beträgt die erwartete Kontraktion lediglich -0,1 % im zweiten bzw. dritten Quartal. Zusammenfassend lässt sich also festhalten, dass nur eine klare Minderheit eine (allenfalls leichte) Rezession erwartet. 

Sollte sich unser Basisszenario tatsächlich materialisieren, dürfte das Kapitalmarktjahr 2024 den Anlegern vernünftige Renditen bieten, denn aller Erwartung nach dürfte das veränderte Zinsumfeld unter dem Strich stützend auf die Aktienmärkte wirken. Zwar ist davon auszugehen, dass das Ertragspotenzial nach der imposanten Rally 2023 vermutlich zum Teil deutlich unter dem Vorjahresniveau, aber insbesondere bei Aktien nahe bei den langfristigen Durchschnittsrenditen liegen könnte. 

Dabei sehen wir zwei Hauptrisiken für unser Basisszenario: Wenn sich die Inflation wider Erwarten beschleunigt – etwa, wenn sich das Lohnwachstum als hartnäckig erweist –, könnte die Fed möglicherweise gezwungen sein, Zinssenkungen zu verschieben oder sogar die Zinsen zu erhöhen. Im Fall einer durch starke Wirtschaftsdaten getriebenen Inflationsüberraschung dürften insbesondere Rentenpapiere unter Druck geraten. Auf der anderen Seite ist nicht gänzlich auszuschließen, dass die Daten zum Wirtschaftswachstum enttäuschen, weil die verzögerten Auswirkungen höherer Zinsen und strengerer finanzieller Bedingungen deutlichere Bremsspuren bei den Unternehmensgewinnen hinterlassen. Fallende Kurse von Aktien und Unternehmensanleihen (infolge höhere Kreditaufschläge) aufgrund dieser deutlicher als erwarteten Wirtschaftsabkühlung können möglichweise jedoch durch Kursanstiege bei Staatsanleihen mit hoher Bonität zumindest teilweise ausgeglichen werden, falls die Zentralbanken in einem solchen Szenario die Zinsen stärker als erwartet senken (garantiert ist das jedoch nicht).

Eines scheint klar: In einem Umfeld, dass baldige Zinssenkungen erwarten lässt, verspricht die Umschichtung von Geldern aus kurzfristigen Anlagen (etwa Festgeld) in länger laufende Rentenpapiere grundsätzlich die Chance auf ein größeres Ertragspotenzial. Denn mit diesen Papieren lässt sich das aktuelle Renditeniveau über einen längeren Zeitraum hinweg sichern als mit kurzfristigen Anlagen. Darüber hinaus bieten Anleihen die Chance auf die Realisierung zusätzlicher Kursgewinne – nämlich dann, wenn die Renditen sinken. Sollten die Zinsen länger als erwartet hoch bleiben, wären steigende Renditen und Kursverluste bei Anleihen allerdings nicht auszuschließen. Unter dem Strich erscheint das Szenario eines vielversprechenden Investmentjahres 2024 nach wie vor intakt.

 

 

Manuela D’Onofrio, Head of Group Investment Strategy
Philip Giskdakis, Chief Investment Officer Germany, UniCredit Bank GmbH (HypoVereinsbank)
Alessandro Caviglia, Chief Investment Officer Italy, UniCredit SpA
Oliver Prinz, Co-Chief Investment Officer of UniCredit Bank Austria AG and Schoellerbank AG

Eine weiche Landung im Konjunkturzyklus ist der Prozess, bei dem eine Wirtschaft von Wachstum über langsames Wachstum bis hin zu einem möglichen Stillstand übergeht, während sie sich einer Rezession nähert, diese aber vermeidet. 

Der Median ist der Wert, der genau in der Mitte einer Datenreihe liegt, die nach der Größe geordnet ist. Aufgrund dieser zentralen Lage wird er auch Zentralwert genannt. Der Median halbiert die Datenreihe, sodass eine Hälfte der Daten unterhalb und die andere Hälfte oberhalb des Medians in der geordneten Reihe liegt.