CIO Kommentar

Gemischte Wachstumssignale –
Herausforderung für die Erholung von Wirtschaft und Märkten

In der Folge des Rückschlags an den Aktienmärkten im März haben sich letztere mittlerweile wieder weitgehend erholt. Der MSCI Europe hat unlängst sogar ein neues Jahreshoch erreicht. Im Zuge der Märzschwäche an den Aktienmärkten waren auch die Staatsanleiherenditen auf dem Rückzug, und trotz eines leichten Wiederanstiegs im April bleiben die Renditen 10-jähriger Staatsanleihen weiterhin deutlich unter den letzten Höchstständen, insbesondere in den USA. Ein ausschlaggebender Faktor für die US-Rentenmärkte ist sicherlich die Erwartung vieler Analysten und Investoren, dass die US-Notenbank nunmehr nahe am Hochpunkt ihres Zinserhöhungszyklus ist. Es wird von den Märkten nur noch ein letzter Zinsschritt um 25 Basispunkte (Bp) in der kommenden Sitzung der Federal Reserve (Fed) Anfang Mai eingepreist, ausgehend von einem aktuellen Korridor der US-Leitzinsen von 4,75 % bis 5,0 %. Diese Erwartungen reflektieren auch das gestiegene Rezessionsrisiko in den USA, welches zuletzt durch die sich eintrübenden Frühindikatoren für die US-Wirtschaft unterstrichen wurde. Hier ist unter anderem der ISM Manufacturing Index zu nennen, der die Stimmung für das verarbeitende Gewerbe misst. Dieser weist seit Ende letzten Jahres auf eine Kontraktion der Wirtschaftsaktivitäten im verarbeitenden Gewerbe der USA hin und ist zuletzt sogar noch weiter gesunken.

In Europa stellt sich die Lage allerdings anders dar. Die Frühindikatoren steigen (Beispiel ifo-Index) und deuten auf eine Erholung der Wirtschaft hin. Die Markterwartungen bezüglich der Geldpolitik der Europäischen Zentralbank (EZB) legen weitere Zinsschritte um insgesamt 0,75 % von einem derzeitigen Zinsniveau (Einlagezins) von 3,0 % nahe. Und auch aktuelle Wirtschaftsdaten wie die Industrieproduktion in der Eurozone, die im Januar und Februar um 1,0 % bzw. 1,5 % zulegte, unterstreichen die erfreuliche wirtschaftliche Erholung diesseits des Atlantiks. Im Vergleich zu den USA steht die europäische Wirtschaft tatsächlich deutlich robuster da, was sich auch an der Entwicklung auf den Kapitalmärkten widerspiegelt: stärkere Erholung von Aktienkursen und Renditen, aber auch ein etwas festerer EUR-USD-Wechselkurs, der zusätzliche Entlastung bei den Energiepreisen mit sich bringt.

Die bessere Situation in Europa als in den USA kann man auch an den Gewinnerwartungen ablesen. Diese waren beiderseits des Atlantiks seit dem dritten Quartal letzten Jahres rückläufig. In Europa zeichnet sich aber nun eine Bodenbildung ab, wohingegen die Erwartungen für die US-Unternehmen weiter sinken. Dies betrifft in den USA nicht nur die Erwartungen für das aktuelle Jahr, sondern auch jene für 2024, die weiterhin sukzessive mehr oder weniger gleichläufig nach unten revidiert werden. Die Sorgen vor einer Rezession in den USA belasten also auch die Erwartungen für das kommende Jahr. Allerdings erwarten die Kapitalmärkte für 2024 nach wie vor ein ordentliches Gewinnwachstum von etwa 10 % im Vergleich zu 2023. Auch 2025 sollten die US-Gewinne fast zweistellig zulegen. Eine deutlich spürbare Rezession in den USA ist also nicht das durch die impliziten Markterwartungen reflektierte Basisszenario.

Für Europa ist die Entwicklung der Gewinnerwartungen zwar aktuell stabiler als in den USA, weil nunmehr seitwärtsgerichtet. Das erwartete Gewinnwachstum hingegen dürfte – wie so oft im transatlantischen Vergleich – in Europa in den kommenden zwei Jahren aber etwas niedriger ausfallen als in den USA. Diese Erwartungslage muss aber nicht notwendigerweise ein Belastungsfaktor für die europäischen Märkte sein, denn hierzulande sind die Bewertungen, gemessen am Kurs-Gewinn-Verhältnis (KGV) deutlich niedriger. Europäische Aktien sind also im Durchschnitt deutlich günstiger bewertet als US-amerikanische. Dabei können die nach wie vor hohen Bewertungen von US-Aktien im aktuellen Umfeld die Renditeerwartungen an diese Anlageklasse für die kommenden Jahre drücken.

Ein Zahlenbeispiel soll das verdeutlichen. Das KGV des MSCI North America liegt derzeit bei fast 18,5 und somit nahezu gleichauf mit dem KGV-Hochpunkt der 15 Jahre vor der Corona-Pandemie. Mit dieser Bewertung liegen US-Aktien um etwa 25 % höher bewertet als im Durchschnitt des angesprochen 15-Jahreszeitraums. Kurz nach der Pandemie lagen die Bewertungen allerdings deutlich höher (in der Spitze bei KGVs von über 22) was unter anderem durch die damals sehr niedrigen Zinsen getrieben wurde. Davor waren ähnlich hohe KGVs in den USA nach der Jahrtausendwende anzutreffen, also während der Dot-Com-Bubble.

Im Vergleich dazu liegen die Bewertungen in Europa bei einem moderaten KGV von 13. Sie sind im Zuge der Erholung an den Aktienmärkten in den letzten Monaten zwar gestiegen, befinden sich aber immer noch deutlich unter den Vor-Pandemie-Hochpunkten und eher im Bereich der entsprechenden Durchschnittsbewertungen der Vor-Pandemiejahre. Hohe aktuelle Bewertungen reduzieren einerseits das mittelfristige Renditepotenzial, da sie einen signifikanten Beitrag einer Bewertungsausdehnung (also einen Anstieg des KGV) zum Gesamtertrag weniger wahrscheinlich machen. Mit anderen Worten: Kursgewinne müssen im Falle von hohen KGVs fast ausschließlich durch Gewinnwachstum getrieben werden. Andererseits steigt mit hohen Bewertungen das Rückschlagspotenzial im Falle einer Rezession.

Der aktuell wichtigste Risikofaktor an den Kapitalmärkten ist also eine mögliche Rezession in den USA. Dieser hat aufgrund der deutlichen Zinserhöhungen der letzten Quartale, aber auch infolge der Entwicklungen im US-Bankensystem, die das Risiko einer Einschränkung der Kreditverfügbarkeit für die US-Realwirtschaft haben steigen lassen, zuletzt an Bedeutung zugenommen. Eines der gängigsten finanzmarktbasierten Rezessionsbarometer für die USA, die Invertierung der Renditekurve von US-Staatsanleihen (also die Tatsache, dass die Rendite für eine 2-jährige Laufzeit höher ist als die für eine 10-jährige Laufzeit) deutet schon seit geraumer Zeit auf eine wachsende Rezessionsgefahr hin. Zu diesen gestiegenen Rezessionsrisiken passt das hohe KVG und die sehr niedrige implizite Volatilität (welches als “Angstbarometer” im US-Aktienmarkt gilt) jedoch nur bedingt. Die nicht kongruente Entwicklung bzgl. steigender Rezessionsrisiken einerseits und einer eher zuversichtlichen Haltung der US-Aktieninvestoren andererseits dürfte das Rückschlagspotenzial am US-Aktienmarkt erhöhen.

Panik ist jedoch nicht angeraten, denn selbst die Pessimisten unter den US-Marktbeobachtern gehen für den Fall, dass es zu einer US-Rezession kommen sollte, nicht von einem scharfen Wirtschaftseinbruch aus. Diese Einschätzung wird durch die zuletzt nach wie vor robusten US-Arbeitsmarktdaten gestützt. Die US-Wirtschaft befindet sich nicht in einer strukturellen Krise. Im Wesentlichen ist die Bremswirkung der Zinserhöhungen spürbar. Sollte aber im Zuge einer Abkühlung der US-Wirtschaft auch der Inflationsdruck nachlassen, was anzunehmen ist, so stiege auch der Spielraum für die Zentralbank, die letzten Zinserhöhungen wieder zurückzunehmen und für eine teilweise Entlastung bei den Kreditfinanzierungskosten zu sorgen.

Insgesamt ist es im aktuellen Wirtschafts- und Marktumfeld nicht ganz einfach zu navigieren, steht doch in den USA aller Voraussicht nach mit dem nahenden Ende des Zinserhöhungszyklus ein wichtiger Wendepunkt in der US-Geldpolitik bevor. Solche Wendepunkte sind erfahrungsgemäß mit signifikanter Volatilität an den Kapitalmärkten verbunden. Wir raten daher aktuell zu einem eher moderaten Kurs bei der Anlagestrategie – ohne signifikante Gewichtung in die eine oder andere Richtung. Eine solche neutrale Positionierung an den Aktienmärkten wird durch die mittlerweile hohen Renditen, die an den Rentenmärkten zu erzielen sind, erleichtert. Nach den Jahren der Niedrig- und Negativzinsen und dem Katastrophenjahr 2022 ist der Rentenmarkt wieder zurück im Spiel und sollte von Anlegern aktiv genutzt werden. Hier sind (auch im Vergleich zu den Aktienmärkten) taktisch und risikoadjustiert interessante Renditen zu erzielen. Aber dennoch gilt: Kurzlaufende Rentenanlagen wie Termingelder sind höchstens für eine kurze Übergangsfrist sinnvoll (etwa weil das Kapital in absehbarer Zeit anderweitig benötigt wird), denn bereits mit einem Zeithorizont von wenigen Jahren schneiden kurzfristige Zinsanlagen inflationsbereinigt mit Blick auf die Rendite weniger gut ab. Auch mit den gestiegenen kurzfristigen Zinskonditionen ist ein realer Werterhalt angesichts der aktuellen Preissteigerungsraten (selbst wenn diese wieder auf ein erträgliches Niveau sinken sollten) schwerlich möglich. Die gute Nachricht ist: Angesichts der durchaus konstruktiven mittelfristigen Wirtschafts- und Kapitalmarktaussichten erscheint eine übermäßig defensive Anlageausrichtung (etwa in Termingelder) aber auch nicht notwendig.


Manuela D’Onofrio, Head of Group Investment Strategy
Philip Giskdakis, Chief Investment Officer Germany, UniCredit Bank AG (HypoVereinsbank)
Alessandro Caviglia, Chief Investment Officer Italy, UniCredit SpA
Oliver Prinz, Co-Chief Investment Officer of UniCredit Bank Austria AG and Schoellerbank AG