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Megatrends – Was wir für die Zukunft erwarten

In einer Zeit, die von großen Umbrüchen und Spannungen geprägt ist, ganz besonders durch den russischen Krieg gegen die Ukraine, halten wir im Wesentlichen an den von uns vor Jahresfrist skizzierten Megatrends fest, haben aber bei zwei der sieben Trends grundsätzlichere Anpassungen vorgenommen. So sehen wir die Phase niedriger Inflation, niedriger Zinssätze und geringer Volatilität des so genannten „Lower for longer“-Szenarios in ein neues Szenario „Higher for longer“ übergehen, das strukturell höhere Zinssätze und Inflation als im Jahrzehnt 2010-2020 erwarten lässt, verbunden mit einer potenziell expansiveren Finanzpolitik und höheren Volatilität an den Finanzmärkten. 2023 dürfte vor diesem Hintergrund das Jahr der Rückkehr zu Anlagen in Anleihen sein. Im Mittelpunkt des zweiten Megatrends (Geopolitik) steht – nach dem russischen Überfall auf die Ukraine – der Übergang von einer multipolaren in eine neue bipolare Weltordnung. Die geopolitischen Kräfteverhältnisse sortieren sich neu, und die Welt erscheint wirtschaftlich in zunehmendem Maße fragmentiert.

Weiterhin beobachten wir, dass die Bedeutung technologischer Neuerungen als Katalysator für Veränderungen in der Welt zunimmt und Fragen der Nachhaltigkeit in all ihren Facetten, insbesondere der Kampf gegen den Klimawandel, in jedweden Bereich von Wirtschaft und Gesellschaft vordringen. Ebenso hält der Trend zu mehr Vielfalt, Gleichheit und Inklusion an. Insbesondere die beiden letzten Megatrends stehen in engem Zusammenhang mit dem Megatrend „Gesunder Lebensstil“. Der letzte Megatrend „Infrastruktur 2.0“ stellt eine Mischung aus digitaler, grüner und traditioneller Infrastruktur dar, die öffentliche und private Investitionen ankurbeln kann, indem sie intelligente Städte und neue Formen des Lebens sowie der Fortbewegung und Arbeit ermöglicht.

Für unsere Anlagestrategie haben diese sieben Megatrends, die eng miteinander verknüpft und interdependent sind, eine besondere Bedeutung. Ihre Implikationen sind weitreichend und vielfältig. Sie bieten sowohl enorme Chancen, die es zu nutzen gilt, als auch Risiken, die richtig eingeschätzt werden sollten. Die Komplexität der Herausforderungen, die sich aus diesen Megatrends ergeben, erfordert Lösungen für Wirtschaft und Gesellschaft gleichermaßen. Wir glauben, dass ihnen ein enormes Wachstumspotential innewohnt. Daher richten wir traditionelle Portfolien sukzessive an diesen Megatrends aus, um so eine erkennbare Outperformance erzielen zu können.

I.    VON “LOWER FOR LONGER” ZU “HIGHER FOR LONGER”

Wir sehen die Phase niedriger Inflation, niedriger Zinssätze und geringer Volatilität an den Kapitalmärkten des so genannten „Lower for longer“-Szenarios in ein neues Szenario „Higher for longer“ übergehen, das strukturell höhere Zinssätze und Inflation als im Jahrzehnt 2010-2020, eine expansivere Finanzpolitik und eine höhere Marktvolatilität erwarten lässt. Nachdem die Fed das Zielband für den Leitzins in nur neun Monaten um satte 375 Bp erhöht hat, dürfte sie die Leitzinsen so lange weiter anheben, bis die monatliche Kerninflation deutliche Anzeichen für einen Rückgang auf ein Niveau aufweist, das mit dem ihrem 2-Prozent-Ziel in Einklang steht. Faktoren wie höhere Angebotsbeschränkungen, Arbeitskräftemangel, fiskalische Anreize, aber auch die grüne Transformation und die sich abzeichnende Deglobalisierung dürften dazu beitragen, dass sich die Inflation über die nächsten Jahre auf einem höheren Niveau einpendeln könnte als in der Vergangenheit. Die „Breakeven“-Inflationsrate8 macht deutlich, dass dies auch die Finanzmärkte so einschätzen (siehe Grafik 4).

 

Seit der globalen Finanzkrise war TINA („There Is No Alternative“, engl. für „Es gibt keine Alternative“) eine wichtige Stütze für Aktien: Die großen westlichen Zentralbanken hielten den Leitzins jahrelang auf einem extrem niedrigen Niveau, was bei geringer Inflation bedeutete, dass die Renditen auf dem gesamten Anleihemarkt im historischen Vergleich ebenfalls extrem niedrig waren. Aktien hingegen waren (insbesondere im Vergleich zu festverzinslichen Wertpapieren) für lange Zeit attraktiver, und Anleger hatten entsprechend kaum eine andere Wahl, als sich auf der Suche nach Rendite dem Aktienmarkt zuzuwenden. Angesichts des Inflationsanstiegs hat zuvorderst die Fed den Leitzins in Rekordtempo angehoben, und die Anleger sehen sich mit TARA („There Are Reasonable Alternatives“, engl. für „Es gibt sinnvolle Alternativen“) konfrontiert. Anleihen erscheinen dank der beispiellosen Serie von Zinserhöhungen und dem starken Anstieg der Anleiherenditen zunehmend interessant (siehe Grafik 5).

2023 dürfte vor diesem Hintergrund das Jahr der Rückkehr zu Anlagen in Anleihen sein, da deren Renditen wieder wettbewerbsfähig werden. In den ersten sechs bis neun Monaten des kommenden Jahres sollten die größten Anlagechancen an den Anleihemärkten zu finden sein, insbesondere bei Staatsanleihen – sowohl in den USA als auch in Europa.

II.    GEOPOLITIK: EINE STÄRKER FRAGMENTIERTE WELT

Im Mittelpunkt des zweiten Megatrends (Geopolitik) steht – nach dem russischen Überfall auf die Ukraine – der Übergang von einer multipolaren in eine neue bipolare Weltordnung. Die geopolitischen Kräfteverhältnisse sortieren sich neu, und die Welt erscheint wirtschaftlich in zunehmendem Maße fragmentiert. Dies hat Auswirkungen auf die weltwirtschaftlichen Verflechtungen. Während Chinas Präsident Xi Jinping seine Macht unlängst gefestigt und sich eine dritte Amtszeit gesichert hat, sorgen Chinas Haltung gegenüber Russland und, der Taiwan-Konflikt oder die Lage der Menschenrechte in China für Beunruhigung in Europa und den USA und belasten das westliche Verhältnis zu dem Land, an dem wirtschaftlich kein Weg vorbeiführt. Denn der Anteil Chinas an der Weltwirtschaft nimmt zu, während die wirtschaftliche Bedeutung insbesondere Europas abnimmt. Nicht zuletzt durch den Aufstieg Chinas ist der globale Handel in den letzten zwei Jahrhunderten in bemerkenswerter Weise gewachsen und hat die Weltwirtschaft grundlegend verändert. Heute wird etwa ein Viertel der gesamten Weltproduktion exportiert. Dieser Wachstumstrend scheint aber vorerst beendet (siehe Grafik 6).

Die Spannungen zwischen den USA und China, die Corona-Pandemie und der Ukraine-Krieg haben zentrale Schwachstellen in den Prinzipien der internationalen Arbeitsteilung offengelegt und die weltweiten Lieferketten gestört. Mit Blick auf die Versorgungssicherheit rücken Reshoring oder Nearshoring9 verstärkt in den Fokus: Viele Unternehmen wollen die Produktion mittlerweile aus Asien zurückholen. Die Ursachen sind vielfältig, wie z.B. geringere Lohnunterschiede, ein höheres Gewicht der Transportkosten, die zunehmende Bedeutung einer inländischen Produktion für strategisch relevante Güter oder das Ziel einer nachhaltigeren Produktion mit kürzeren Transportwegen. Innerhalb von sechs Monaten nach ihrem Amtsantritt schloss etwa die US-Regierung von Präsident Joe Biden eine umfassende Überprüfung der Lieferketten für vier kritische Produkte ab, ermittelte Lösungen zu deren Sicherung gegen ein breites Spektrum von Risiken und richtete die sogenannte Supply Chain Disruptions Task Force (engl. für Arbeitsgruppe für Unterbrechungen der Lieferkette) ein.

Die stärkere globale wirtschaftliche Fragmentierung dürfte ein langsameres globales Wachstum und eine höhere Inflation mit sich bringen (siehe auch Megatrend I: Von „Lower for longer“ zu „Higher for longer“), was wiederum zu höheren Zinsen im Vergleich zum Jahrzehnt nach der globalen Finanzkrise führen dürfte – und zu einem stärkeren Dollar, zum Nachteil der Schwellenländer. Doch auch wenn Chinas Ausblick infolge des steigenden internationalen Drucks bei der Einhaltung von Menschenrechten, der anhaltend restriktiven Corona-Pandemiebekämpfung und von Wachstumseinbußen durch die Transformation hin zu einer dienstleistungsorientierten Volkswirtschaft unsicherer geworden ist, sehen wir langfristig im asiatischen Raum nach wie vor großes Wachstumspotenzial.

III.    NACHHALTIGKEIT UND KAMPF GEGEN DEN KLIMAWANDEL

Der nächste Trend betrifft den Zustand existenzieller Gemeingüter, der sich in immer schnellerem Tempo verschlechtert: Klimawandel10, schwindende Artenvielfalt, verschmutzte Ozeane und die Ausbreitung von Infektionskrankheiten sind eine zunehmende Bedrohung für die Grundlagen menschlichen Lebens weltweit. Die globale Erwärmung und eine geschädigte Biosphäre stellen die großen Volkswirtschaften vor enorme Herausforderungen. Der Kampf für mehr Nachhaltigkeit und damit gegen den menschengemachten Klimawandel ist zur zentralen Zukunftsaufgabe geworden.

Wie der jüngste Bericht des Zwischenstaatlichen Ausschusses der Vereinten Nationen für Klimaänderungen (UN IPCC) deutlich macht, tickt die Zeit immer mehr in Richtung einer Erderwärmung um mehr als 1,5°C (gegenüber 185011). Die nächsten Jahre sind entscheidend: Um das 1,5°C-Ziel noch zu erreichen, müssen die weltweiten Treibhausgasemissionen12 gemäß dem Pariser Klimaschutzabkommen spätestens 2025 ihren Höhepunkt erreichen und bis Ende 2030 um 43 % gesenkt werden. Trotz aller Klimazusagen steigen die Emissionen – nach der Pandemie-bedingten Delle im Jahr 2020 – laut IPCC aber nach wie vor (siehe Grafik 7). Laut einer aktuellen Studie des „Global Carbon Project“13 werden die globalen fossilen CO2-Emissionen 2022 mit 36,6 Mrd. Tonnen wohl leicht über dem Niveau von 2019 und 2021 liegen und damit einen neuen Höhepunkt erreichen.

Die Umkehrung dieser Entwicklung wird transformative Veränderungen sowohl auf der Nachfrage- als auch auf der Angebotsseite erfordern. Mit Blick auf die Energieversorgung stehen die politischen Entscheidungsträger insbesondere in Europa vor der Herausforderung, ein Gleichgewicht zwischen Dekarbonisierung, Versorgungssicherheit und Bezahlbarkeit herzustellen.

Der Krieg in der Ukraine hat diesen Balanceakt noch schwieriger gemacht. Wie die Substitution von fehlendem Gas durch Kohle deutlich macht, ist die unangenehme kurzfristige Realität, dass die Dekarbonisierung angesichts der Entwicklungen der zurückliegenden Monate unweigerlich zulasten der Energiesicherheit (vorübergehend) in den Hintergrund gerückt ist. Das bedeutet aber auch, dass die Anstrengungen, um den langfristigen Übergang zu einer kohlenstoffarmen Energiezukunft sicherzustellen, noch einmal deutlich ausgeweitet werden müssen.

Ein bedeutender Teil der europäischen Reaktion auf den russischen Angriffskrieg in der Ukraine war die Beschleunigung der Ziele für neue Anlagen zur Nutzung erneuerbarer Energien (REPowerEU). Letztere werden als eine Möglichkeit gesehen, jedes Element des so genannten Energie-Trilemmas anzugehen: Versorgungssicherheit (durch Verringerung der Abhängigkeit von russischem Gas), Bezahlbarkeit (erneuerbare Energien für die Stromerzeugung werden immer günstiger) und Dekarbonisierung. REPowerEU sieht eine Anhebung des EU-Ziels für erneuerbare Energien für 2030 auf 45 % (von derzeit 40 %) vor, wodurch deren Gesamtkapazität in der EU bis 2030 auf mehr als 1.200 Gigawatt anwachsen soll. Weltweit soll sich der Anteil regenerativer Energien an der Energieerzeugung bis zum Jahr 2050 auf zwei Drittel verdoppeln. Grundsätzlich sollten Unternehmen, die innovative, technologische Lösungen für die ökonomisch-ökologische Transformation ermöglichen (siehe auch Megatrend IV: Technologische Innovationen), in besonderem Maß von klimapolitischen Initiativen weltweit profitieren. Sie bergen daher auch mit Blick auf die Anlagestrategie und die entsprechende Portfolio-Zusammenstellung großes Potenzial.

IV.    TECHNOLOGISCHE INNOVATIONEN

Technologische Innovationen verändern die Art und Weise, wie wir leben und arbeiten, grundlegend. Jahrtausendelang verlief der Fortschritt linear, und die Welt veränderte sich über Generationen hinweg nur langsam. Mit der industriellen Revolution und den nachfolgenden Wellen des technologischen Wandels begannen die heutigen Industrienationen, schnelles und nachhaltiges Wirtschaftswachstum zu generieren (siehe Grafik 8). Deren hohe Investitionen in Schlüsseltechnologien dürften es den Schwellenländern schwer machen rasch aufzuholen.

Mittlerweile entwickeln sich technologische Neuerungen exponenziell, und der sprunghafte Anstieg der digitalen Transformation, der während der Corona-Pandemie zu beobachten war, zeigt keine Anzeichen einer Verlangsamung. Dabei macht insbesondere die technologische Konvergenz14 möglich, was früher undenkbar erschien. Diese Entwicklung wird massiv beschleunigt durch die künstliche Intelligenz15 (KI). Sie tritt zunehmend in Konkurrenz zu menschlicher Intelligenz und führt dazu, dass Maschinen in der Lage sind, Aufgaben zu übernehmen, die früher nur Menschen erledigen konnten.

Neue Technologien wie Cloud16, Edge Computing17, maschinelles Lernen18, Metaverse19, Web 3.020, nicht-fungible Token21 (NFTs), Robotik22, Internet der Dinge (IoT)23, 5G24 halten in alle Lebensbereiche Einzug und verbreiten sich zunehmend auch in der Wirtschaft. Produktionsprozesse und Organisationen verändern sich, neue Produkte, Dienstleistungen und Geschäftsmodelle entstehen. Auch auf die Arbeitsmärkte haben die neuen Technologien bedeutende Auswirkungen, und insbesondere die Digitalisierung bringt deutliche Verschiebungen bei den Qualifikationsanforderungen mit sich.

Während rasanter Fortschritt auch Nachteile haben kann – nämlich dann, wenn er die Anpassungsfähigkeit der Gesellschaft übersteigt – bergen technologische Innovationen ein enormes Potenzial für eine nachhaltige(re) Entwicklung. Sie können das Leben vieler Menschen enorm verbessern. Die positiven Beispiele für ihre erfolgreiche Mobilisierung, etwa in Landwirtschaft, Gesundheit, Bildung und Energie, sind zahlreich. Die Corona-Pandemie hat jedoch deutlich gemacht, dass sie auch die Gefahr bergen, Ungleichheiten potenziell zu verschärfen (siehe auch Megatrend V: Vielfalt, Gleichheit und Inklusion), indem sie die digitale Kluft zwischen denen, die über innovative Technologien verfügen, und denen, die sie nicht haben, größer werden lassen.

V.    Vielfalt, Gleichheit und Inklusion

Während der letzten Jahrzehnte haben nicht nur die Industrienationen einen wachsenden Wohlstand erlebt. Das Wirtschaftswachstum in den Schwellenländern hat den Aufstieg einer globalen Mittelschicht befördert, und die Menschen leben im Durchschnitt leben länger und gesünder (siehe auch Megatrend VI: Gesunder Lebensstil). Dennoch gibt es nach wie vor Armut und Ungleichheit25. Der Reichtum ist stark konzentriert, und die Unterschiede bei Einkommensmöglichkeiten sowie bei Bildungs- und Gesundheitsstandards sind noch immer groß. Häufig korreliert Ungleichheit mit der Höhe des Einkommens. In den letzten 10 bis 15 Jahren hat die globale Einkommensungleichheit abgenommen, vor allem weil die großen Entwicklungsländer schneller gewachsen sind und ihren Rückstand teilweise aufgeholt haben.

Im Wirtschaftsleben gewinnt eine neue Welle der Nachhaltigkeit, die Vielfalt, Gleichheit und Inklusion in den Blick nimmt, zunehmend an Bedeutung, und Stakeholder26 stellen immer höhere Anforderungen an diese „weichen“ Faktoren. Hierfür gibt es mehrere gute Gründe. Mittlerweile ist unbestritten, dass Unternehmen, die sich nicht um Gleichstellung und Vielfalt bemühen, entscheidende Wettbewerbsvorteile verlieren – insbesondere deshalb, weil sie in Zeiten zunehmenden Fachkräftemangels Gefahr laufen, den Kampf um Talente zu verlieren und vom Markt abgehängt zu werden. Anders ausgedrückt: Ungleichheit und mangelnde Vielfalt stellen für Unternehmen ein finanzielles Risiko dar, das tendenziell eher noch zunehmen dürfte.

Die UN-Agenda 2030 für nachhaltige Entwicklung will Geschlechtergleichheit, Geschlechtergerechtigkeit und Selbstbestimmung für alle Frauen und Mädchen erreichen (Sustainable Development Goal [SDG 5], engl. für Ziel für nachhaltige Entwicklung). Unter Experten herrscht weitgehend Konsens, dass Volkswirtschaften widerstandsfähiger und produktiver sind, wenn sie geschlechterspezifische Ungleichheiten abbauen und die gleichberechtigte Teilhabe von Frauen in allen Lebensbereichen unterstützen. Die Geschlechterparität hat laut Europäischem Institut für Gleichstellungsfragen (EIGE) positive Auswirkungen auf das BIP pro Kopf in der EU. Bis 2050 würde die Verbesserung der Gleichstellung der Geschlechter zu einem Anstieg des Pro-Kopf-BIP in der EU um 6,1 % bis 9,6 % führen (siehe Grafik 9), was einem Volumen von 1,95 bis 3,15 Mrd. Euro entspricht. Sie würde zudem bis zu 10,5 Mio. zusätzliche Arbeitsplätze schaffen.

Zwar sind in den letzten Jahrzehnten mehr Frauen in die Erwerbsarbeit und zunehmend auch in Führungspositionen in der Wirtschaft eingestiegen. Neben den UN und dem EIGE kritisierte aber auch das Weltwirtschaftsforum in seinem jüngsten Bericht27, dass die Fortschritte auf dem Weg zur Geschlechterparität – nicht zuletzt bedingt durch die Implikationen der Corona-Pandemie – ins Stocken geraten sind, weil es nach wie vor zahlreiche Hemmnisse für Bildungs- und Karrierechancen gebe.

VI.    GESUNDER LEBENSSTIL

Die Weltbevölkerung ist im vergangenen Jahrhundert rasant gewachsen: Im Jahr 1900 lebten weniger als zwei Milliarden Menschen auf der Erde, heute sind es über acht Milliarden. Die Weltbevölkerung wird weiter zunehmen28, allerdings mit regional sehr unterschiedlichem Bevölkerungszuwachs. Weltweit steigt zudem die Lebenserwartung, und die Geburtenraten gehen mit zunehmendem materiellen Wohlstand zurück. Dadurch verändert sich die Altersstruktur in allen Regionen der Welt.

Insbesondere in den westlichen Industrienationen durchdringt der Megatrend „Gesunder Lebensstil“ viele Bereiche des Alltags. Ein gesundes Leben für alle Menschen jeden Alters zu gewährleisten und ihr Wohlergehen zu fördern, ist eines der Ziele (SDG 3) der UN-Agenda 2030. Nicht zuletzt seit den Erfahrungen mit der Corona-Pandemie ist die Bedeutung der körperlichen Unversehrtheit zu einer Schlüsselressource geworden. Laut der jüngsten Eurostat-Auswertung vom April 202229 ist der Anstieg der Lebenserwartung auf eine Reihe von Faktoren zurückzuführen, darunter eine geringere Kindersterblichkeit (in der EU seit 2000 um etwa die Hälfte gesunken), ein höherer Lebensstandard, ein gesünderer Lebensstil, eine bessere Bildung sowie Fortschritte in der Gesundheitsversorgung und der Medizin.

Im Jahr 2016 machten die globalen Gesundheitsausgaben laut Lancet bereits 8,6 % der weltweiten Wirtschaftsleistung aus, das entspricht etwa 8 Bio. US-Dollar, und es steht zu erwarten, dass sie weiter steigen, sowohl in absoluten Pro-Kopf-Ausgaben als auch im Verhältnis zur Wirtschaftsleistung. In Deutschland lag der Anteil der Gesundheitsausgaben am BIP im Jahr 2020 bei rund 11 % (siehe Grafik 10), ein im internationalen Vergleich hoher Wert. Nur in den USA war er mit knapp 16 % deutlich höher.

In den hochentwickelten Industrienationen, deren Bevölkerung altert und dabei schrumpft (Beispiele sind Deutschland und Japan) oder die den Alterungsprozess vor allem durch Wanderungsbewegungen dämpfen (z.B. die USA), hat der demographische Wandel erhebliche Auswirkungen auf die relative Knappheit der Produktionsfaktoren. Langfristig führen die damit verbundenen globalen demografischen Trends zu einer Umverteilung des weltweiten Wohlstands – so eine Studie der Bertelsmann-Stiftung30. Letztere erwartet zumindest tendenziell, dass sich Löhne und Pro-Kopf-BIP jeweils einem globalen Durchschnitt annähern.

Viele Entwicklungen im Kontext einer gesunden Lebensführung haben ihren Ursprung nicht im Gesundheitsbereich oder werden von diesem vorangetrieben, sondern sind sozio-kulturelle Entwicklungen, die aus der Gesellschaft heraus entstehen, sich auf viele Lebens- und Arbeitsbereiche auswirken und diese zum Teil grundlegend verändern. Er kann damit auch die Grundlage für strategische Entscheidungen von Unternehmen – und damit Anlageentscheidungen – sein.

VII.    INFRASTRUKTUR 2.0

Die Corona-Pandemie hat schmerzhaft offen gelegt, wie dringend notwendig eine qualitativ hochwertige, zuverlässige, nachhaltige und widerstandsfähige Infrastruktur31 ist, deren Aufbau eines der Ziele (SDG 9) der UN-Agenda 2030 ist. Volkswirtschaften mit einem diversifizierten Industriesektor und einer starken Infrastruktur (z.B. Verkehr, Internetanbindung und Versorgungsdienste) hat die Pandemie weniger zugesetzt, und sie erholten sich laut UN32 schneller von deren Folgen.

Heute leben über 60 % der Weltbevölkerung in Städten (seit 2007 mehr als die Hälfte, siehe Grafik 11), die weiterhin in einem nie dagewesenen Tempo wachsen. Vielfach hängt der Ausbau der urbanen Infrastruktur dieser Expansion aber hinterher. Innovative Lösungsansätze sind notwendig, um das Zusammenleben in Ballungsräumen, aber auch im ländlichen Raum effizienter zu gestalten. Wir subsumieren diese unter unserem letzten Trend, „Infrastruktur 2.0“, d.h. der Integration intelligenter Technologie in die öffentliche Infrastruktur. Er vereint eine Reihe von Elementen der vorgenannten Megatrends und beschreibt die Einbettung von Sensor-, Computer- und Kommunikationsfunktionen in herkömmliche städtische und ländliche physische Infrastrukturen wie Straßen, Gebäude und Brücken, um die Lebensqualität für alle zu verbessern, Ressourcen zu schonen und die Wettbewerbsfähigkeit zu steigern.

Als Smart City wird Vision eines urbanen Raums bezeichnet, in dem vernetzte Geräte und Sensoren basierend auf der Analyse von Daten und intelligenter Steuerung die Effizienz, Widerstandsfähigkeit und Sicherheit erhöhen – auch dank eines exponentiell wachsenden IoT, leistungsfähiger Mobilfunk- und Breitbandnetze und Fortschritten beim maschinellen Lernen oder der künstlichen Intelligenz (siehe auch Megatrend IV: Technologische Innovation). Dabei schafft beispielsweise die Einbindung von Steuergeräten, Kreuzungssteuerungen und Sensoren entlang von Straßen neue Möglichkeiten zur Steuerung von Verkehrssignalen und zur Optimierung des Verkehrsflusses. Die Entwicklung intelligenter Stromnetze bietet die Möglichkeit, die Effizienz der Stromerzeugung und -übertragung zu steigern, die Widerstandsfähigkeit gegenüber Störungen zu verbessern und die Integration neuer Energiequellen wie Windkraft zu optimieren. All dies sind Beispiele dafür, wie intelligente Infrastrukturen die Art und Weise verändern und wie wir unsere Lebensräume planen und gestalten.

Die rasante Urbanisierung wird nicht nur Chancen und Herausforderungen für Wirtschaft und Gesellschaft mit sich bringen, sondern auch vielfältige Anlagemöglichkeiten. Die US-Regierung etwa stellt bis 2029 1,2 Bio. Dollar33 bereit, um die Infrastruktur der USA, Straßen, Brücken, Häfen, Flughäfen, Nahverkehr und Eisenbahnen, zu erneuern. Zudem will sie das Hochgeschwindigkeitsinternet, das Stromnetz und die Wasserversorgung ausbauen. Auch der Klimaschutz, den US-Präsident Joe Biden zur Priorität erklärt hat, soll profitieren. Es ist das umfangreichste Investitionspaket dieser Art in den USA seit den 1950er Jahren.

8Die „Breakeven“-Inflationsrate ist ein wichtiger Indikator für die Echtzeit-Erwartungen der Finanzmärkte was die zukünftige Inflationsentwicklung betrifft. Sein Wert liegt darin, dass er allgemeine Veränderungen der Inflationstendenzen signalisieren kann. Die „Breakeven“-Inflationsrate ergibt sich aus der Renditedifferenz zwischen nominalen und inflationsindexierten Staatsanleihen und kann für unterschiedliche Laufzeiten berechnet werden.

9Reshoring oder Nearshoring ist die Rückverlagerung betrieblicher Aktivitäten in Heimatländer bzw. deren Verlagerung in nahe gelegene Regionen.

10Die Liste der Klimaveränderungen ist lang. Gleichzeitig sind nicht alle Regionen gleichermaßen von den Veränderungen betroffen. So wird es deutlich mehr Hitzewellen und Dürren geben, aber auch mehr Starkregenereignisse. Dabei gilt generell, dass insbesondere Gebiete, die bisher mit solchen Wetterextremen zu kämpfen hatten, in Zukunft noch stärker betroffen sein werden.

11Die Zeitmarke 1850 kommt daher, dass ungefähr in dieser Zeit die Industrialisierung begann.

12Die wichtigsten Treibhausgase sind Kohlenstoffdioxid, Methan und Distickstoffoxid.

13Global Carbon Project, Global Carbon Budget, November 2022 (Link). Das Global Carbon Project ist ein weltweiter Zusammenschluss von Wissenschaftlern, die den Kohlenstoffkreislauf global beobachten.

14Unter Konvergenz versteht man die Kombination von zwei oder mehr Technologien, die sich bisher getrennt voneinander entwickelt haben. Wenn sie kombiniert werden, entstehen neue Ansatzpunkte für Produkte und Geschäftsmodelle.

15Unter KI versteht man die Erforschung „intelligenten” Problemlösungs­verhaltens sowie die Erstellung „intelligenter” Computer­systeme. KI beschäftigt sich mit Methoden, die es einem Computer ermöglichen, solche Aufgaben zu lösen, die, wenn sie vom Menschen gelöst werden, Intelligenz erfordern.

16Die Cloud (engl. Wolke) ist im IT-Umfeld die Abkürzung für Cloud Computing und wird auch häufig als Rechnerwolke, Datenwolke oder Internetwolke bezeichnet.

17Als „Edge“ bezeichnet man im Bereich Computing den äußersten Rand eines technischen Informationsnetzwerks, an dem die virtuelle Welt eines Computernetzwerks auf die reale Welt trifft. Meist impliziert der Begriff „Edge“, dass es sich bei dem Netzwerk um das Internet handelt.

18Maschinelles Lernen (ML), ist eine Form der KI, die es Softwareanwendungen ermöglicht, Ergebnisse genauer vorherzusagen, ohne dass sie explizit dafür programmiert werden. Machine-Learning-Algorithmen verwenden historische Daten als Eingabewerte, um neue Ausgabewerte vorherzusagen.

19Der weitgefasste Begriff Metaverse bezieht sich auf einen virtuellen Raum, in dem Menschen mithilfe von Virtual-Reality-Technologien als Avatare miteinander interagieren können. Dabei schafft das Metaverse eine Konvergenz zwischen physischer Realität und virtuellem Raum im Kontext des vernetzten Digitalraums. Der Unterschied zu traditionellen Websites und sozialen Netzwerken liegt in der immersiven Erfahrung, die das Metaverse bietet.

20Web 3.0 ist die dritte Generation von Internetdiensten für Websites und Webanwendungen, die sich auf die Nutzung maschinenbasierter Daten konzentrieren, um ein datengesteuertes und semantisches Web zu schaffen.

21Non-fungible heißt auf deutsch nicht ersetzbar oder austauschbar. Als Token bezeichnet man eine Werteinheit. Erstmals tauchte der Begriff im Bereich der Kryptowährungen auf. Eine „nicht ersetzbare Wertmarke“ ist ein digitales Gut, das reale Objekte wie Kunst, Musik, Gegenstände im Spiel und Videos repräsentiert.

22Die Robotik beschäftigt sich mit dem Entwurf, der Gestaltung, der Steuerung, der Produktion und dem Betrieb von Robotern, z.B. von Industrie- oder Servicerobotern.

23Das Internet der Dinge IdD) (engl. internet of things, IoT) ist ein Sammelbegriff für Technologien einer globalen Infrastruktur der Informationsgesellschaften, die es ermöglicht, physische und virtuelle Objekte miteinander zu vernetzen und sie durch Informations- und Kommu-nikationstechniken zusammenarbeiten zu lassen.

245G ist der Nachfolger von 4G (LTE) und bezeichnet die fünfte Generation des Mobilfunk.

25Ungleichheit ist ein vielschichtiges Konzept, das sich auf Unterschiede in den Ergebnissen und Chancen zwischen Einzelpersonen, Gruppen oder Ländern beziehen kann. Diese Unterschiede können in jeder Dimension der Entwicklung auftreten - sozial, wirtschaftlich oder ökologisch.

26Mit Stakeholder (engl. für Anspruchsgruppe) werden alle Personen, Gruppen oder Institutionen bezeichnet, die von den Aktivitäten eines Unternehmens direkt oder indirekt betroffen sind oder die ein Interesse an diesen Aktivitäten haben.

27WEF, Global Global Gender Gap Report,  Juli 2022 (Link)

28Die UN gehen davon aus, dass sich das Wachstum der Weltbevölkerung im Laufe des 21. Jahrhunderts deutlich verlangsamen und im Jahr 2100 mit rund 10,9 Mrd. Menschen seinen Höchststand erreichen wird.

29Eurostat, Mortality and life expectancy statistics, April 2022 (Link)

30Bertelsmann Stiftung, „Megatrend-Report #01: The Bigger Picture – Wie Globalisierung, Digitalisierung und demografischer Wandel uns herausfordern“, September 2019 (Link)

31Die Infrastruktur umfasst alle staatlichen und privaten Einrichtungen, die für eine ausreichende Daseinsvorsorge und wirtschaftliche Entwicklung als erforderlich gelten. Die Infrastruktur wird meist unterteilt in technische Infrastruktur (z. B. Einrichtungen der Verkehrs- und Nachrichtenübermittlung, der Energie- und Wasserversorgung, der Entsorgung) und soziale Infrastruktur (z.B. Schulen, Krankenhäuser, Sport- und Freizeitanlagen, Einkaufsstätten, kulturelle Einrichtungen).

32UN, The Sustainable Development Goals Report 2022, Juli 2022 (Link)

33Im August 2021 verabschiedete der US-Kongress das entsprechende Infra­strukturgesetz.