Wirtschaft und Märkte

Wirtschaft in USA und Euroraum kühlt weiter ab – für geldpolitischen Schwenk der Notenbanken ist es aber noch zu früh

US-WIRTSCHAFT SCHWÄCHT SICH AB, ARBEITSMARKT UND UNTERNEHMEN ABER WEITER ROBUST

Der US-Arbeitsmarkt zeigte sich zuletzt in anhaltend robuster Verfassung. Die Zahl der Beschäftigten außerhalb der Landwirtschaft stieg im September um 263 Tsd. (gegenüber 315 Tsd. im August) und signalisiert damit eine immer noch solide Arbeitsnachfrage der Unternehmen (siehe Grafik 4). Die Erwerbsquote sank leicht auf 62,3 %, was darauf hindeutet, dass die US-Notenbank bei ihrem Versuch, das Lohnwachstum zu bremsen, wohl nicht mehr viel Unterstützung von einer Ausweitung der Arbeitsangebotsseite bekommen wird. Zudem ging die Arbeitslosenquote auf 3,5 % zurück (von 3,7 % im Vormonat), was in erster Linie auf eine schwindende Erwerbsbevölkerung zurückzuführen ist. Andererseits war aber auch der Rückgang der offenen Stellen im September außerordentlich stark und lag weit über den Schätzungen der Analysten (erwarteter Rückgang rund 150 Tsd. Stellen, tatsächlicher Rückgang mehr als 1 Mio. Stellen). Insbesondere der Abbau offener Stellen zeigt, dass sich der US-Arbeitsmarkt weiter abkühlt, wenn auch nicht schnell genug, um der US-Notenbank Anlass zum Umschwenken ihres geldpolitischen Kurses zu geben.

Solide Konjunkturzahlen kamen auch von den US-Unternehmen. Zwar ging die Stimmung in der Industrie (gemessen am ISM-Index17 für das verarbeitende Gewerbe) im September spürbar zurück, das Niveau deutet aber weiterhin auf eine Expansion hin. Und auch der Dienstleistungssektor verzeichnete im September eine solide Aktivität. Zwar schwächten sich die Indikatoren auf der Nachfrageseite zusammen mit dem Preisdruck leicht ab, ein überraschender Anstieg des Beschäftigungsindexes – der den höchsten Stand seit März erreichte – zeigt aber, dass die Unternehmen die kurzfristige wirtschaftliche Entwicklung nach wie vor positiv einschätzen.

MÄRKTE SETZEN AUF VORGEZOGENEN FED-PIVOT

Die in den US-Zahlen angelegte Abkühlung der US-Wirtschaft hat dafür gesorgt, dass an den Märkten erneut die Hoffnung auf ein baldiges Umschwenken der US-Notenbank („Fed-Pivot“) aufkeimte. In den letzten Wochen hatten sich die Märkte immer mehr von der Vorstellung verabschiedet, dass die Fed wirklich umschwenken und im nächsten Jahr mehrere deutliche Zinssenkungen vornehmen würde. Grafik 5 zeigt den Abstand zwischen den implizit erwarteten Fed Funds Rates für den Zeitraum zwischen März und Dezember nächsten Jahres (einzelne Zinsschritte kumuliert). Dabei gilt: Je größer die Lücke nach unten, desto mehr Zinssenkungen18 erwartet der Markt bis zum Ende des nächsten Jahres.

Ging man im Hochsommer dieses Jahres noch davon aus, dass die US-Notenbank zwischen März und Dezember 2023 drei Zinssenkungen um jeweils 25 Basispunkte (Bp) vornehmen würde, so war der Markt Ende September nicht einmal mehr davon überzeugt, dass die US-Notenbank auch nur eine Zinssenkung vornehmen würde. Zudem sieht man sehr deutlich, wie die Zinssenkungserwartungen die Aktienmärkte zwischen Mitte Juni und Mitte August befeuerten (Bärenmarkt-Rally). Aktuell geht der Markt wieder von einer Zinssenkung aus (etwa 25Bp), nachdem er – nach Veröffentlichung der schwächeren US-Konjunkturzahlen – zeitweise von ein bis zwei Zinssenkungen ausgegangen war (nahe 40Bp). Letzteres hatte sich kurzzeitig in steigenden US-Aktien, einem fallenden US-Dollar und sinkenden US-Anleiherenditen niedergeschlagen.

US-GELDPOLITIK WIRD ZINSEN WEITER ANHEBEN UND LÄNGER RESTRIKTIV BLEIBEN

Grundsätzlich halten wir die Aussichten des Marktes für eine vorgezogenen „Fed-Pivot“ („Wendepunkt der Geldpolitik“) für verfrüht, da sich die fundamentalen Indikatoren (wie z.B. Konjunkturindikatoren) immer noch recht robust zeigen und weitere Abschwächungen bei den Gewinnschätzungen der Unternehmen vermutlich noch ausstehen. Auch das zuletzt veröffentlichte Protokoll der US-Notenbanksitzung im September bekräftigt unsere Sichtweise, da es ein klares Bekenntnis der Fed-Mitglieder widerspiegelt, den aggressiven geldpolitischen Kurs sowie eine höheres restriktives Zinsniveau länger beibehalten zu wollen. Auch die zuletzt veröffentlichten US-Inflationszahlen – bei denen die Gesamtrate zwar leicht zurückging, die Kerninflation aber weiter zulegte – dürften die Fed in ihrem restriktiven Kurs bestätigen. Demnach gehen wir von einer weiteren Zinserhöhung um 75Bp im November aus (siehe Grafik 6). Für die Dezember-Sitzung erwarten wir eine weitere Anhebung um 50Bp, gefolgt von einem letzten Zinsschritt um 25Bp im Februar. Damit sollte die US-Notenbank ihren maximalen Zins im Anhebungszyklus von 4,75 % erreicht haben. Nach Veröffentlichung der Inflationszahlen preist der Markt momentan einen restriktiveren Kurs ein: eine weitere Zinsanhebung um 75Bp (bzw. 50Bp) noch im Dezember und 25Bp (bzw. 50Bp) im Februar 2023 mit einer darauffolgenden Zinssenkung in der zweiten Jahreshälfte nächsten Jahres.

AUCH EZB WIRD ZÜGEL WEITER STRAFFEN

Auch im Euroraum hat sich die EZB vollkommen der Inflationsbekämpfung verschrieben. Nach dem unerwartet starken 75Bp-Schritt im September hat sie ihre Leizinsen Ende Oktober erneut um 75Bp angehoben, wodurch der Einlagesatz nun bei 1,50 % liegt. Die Teuerungsrate im Euroraum ist im September zuletzt auf fast 10 % angestiegen. Ursächlich für den starken Anstieg waren, neben den anhaltenden Lieferengpässen, auch die negativen Auswirkungen der Energiekrise, die vor allem Europa aufgrund seiner hohen Abhängigkeit von russischem Gas stark belastet (siehe auch Fokus-Teil). Laut dem Sitzungsprotokoll vom September könne die EZB zwar die direkten Folgen der höheren Energiepreise und die Auswirkungen von Angebotsschocks nicht verhindern, sie könne aber das Risiko für Zweitrundeneffekte bekämpfen und damit dafür sorgen, dass die Inflationserwartungen nicht aus dem Ruder laufen. Aufgrund des immer noch anhaltenden hohen Preisdrucks wird die EZB auch auf den nächsten Sitzungen die Zinszügel vermutlich weiter anziehen (siehe Grafik 7). Dennoch glauben wir, dass der Markt einen zu straffen Zinszyklus für den Euroraum einpreist, da sich die konjunkturellen Aussichten weiter eintrüben dürften. Daher gehen wird davon aus, dass die EZB im Dezember noch einmal um 50Bp anheben wird, bevor sie im Februar 2023 mit einem letzten Zinsschritt um 25Bp den Einlagesatz auf schlussendlich 2,25 % bringen wird.

CHINA: REGIERUNG HÄLT AN WIRTSCHAFTLICHER ENTWICKLUNG FEST

Auf dem 20. Parteitag der kommunistischen Regierung Chinas bekräftige die politische Führung ihr Bestreben, die wirtschaftliche Entwicklung des Landes fortzuführen. Damit schlug sie einen ausgewogeneren Ton an als von Analysten erwartet worden war. Im Vorfeld des Parteitags waren Marktberichte davon ausgegangen, dass die chinesische Regierung ihre Prioritäten deutlich auf die Sicherheit des Landes und damit weg von einer reinen Konzentration auf Wirtschaft und Wachstum verlagern werde. Diese Bedenken wurden auf dem Parteitag zerstreut. Der chinesische Staatspräsident Xi Jinping betonte in seiner Rede, dass das Erreichen eines ausgewogeneren Lebensstandards des chinesischen Volkes oberste Priorität habe. Es solle durch ein integrativeres und qualitativ hochwertigeres Wachstum erreicht werden. Am langfristigen Wachstumsziel einer „mäßig wohlhabenden“ chinesischen Gesellschaft bis 2035 werde festgehalten. Zur strikten Null-Covid-Politik gab es dagegen wenig Neues, weshalb davon auszugehen ist, dass der bisher eingeschlagene Weg fortgesetzt wird. Dennoch könnte die Fokussierung auf die wirtschaftliche Entwicklung die Notwendigkeit erhöhen, mittelfristig eine sukzessive Wiedereröffnung der Wirtschaft (d.h. stufenweise Lockerung der Lockdown-Maßnahmen) einzuleiten.

17Der ISM-Index ist ein wichtiger Frühindikator der US-Wirtschaft, der die Stimmung der Einkaufsmanager anhand einer monatlichen Befragung des Institute of Supply Management (ISM) ermittelt. Dabei werden 400 Einkaufsmanager zu ihrer Einschätzung der aktuellen Geschäftslage des Unternehmens, für welches sie den Einkauf tätigen, befragt.

18Für gewöhnlich werden für einen Zinsschritt eine Änderung um 25Bp unterstellt. Eine Lücke von -0,50 Prozentpunkten (PP) beispielsweise weist damit auf zwei erwartete Zinssenkungen von jeweils 25Bp hin.