
US-Zwischenwahlen
„Rote Welle“ bleibt aus – Demokraten behaupten Senat, verlieren aber Mehrheit im Repräsentantenhaus
Zwei Wochen nach den Zwischenwahlen in den USA (den sogenannten „Midterms“), bei denen die US-Amerikaner ihre politischen Vertreter im US-Kongress wählen, hat sich der Nebel bezüglich des Wahlergebnisses gelichtet. Auch wenn es ein abschließendes Auszählungsergebnis nicht vor Anfang Dezember geben wird, steht mittlerweile fest, dass die Demokraten zwar den Senat behauptet, ihre Mehrheit im Repräsentantenhaus aber verloren haben.
Bei der Abstimmung am 8. November, in der Mitte von US-Präsident Joe Bidens vierjähriger Amtszeit, wurden alle 435 Sitze im Repräsentantenhaus und etwa ein Drittel der Sitze im Senat neu vergeben. Zudem wurden in zahlreichen Bundesstaaten die wichtigen Gouverneursämter neu besetzt. Die Auszählung der Stimmen zog sich in vielen Bundesstaaten wegen sehr knapper Ergebnisse und wahlrechtlicher Besonderheiten über mehrere Tage hin.
Viele Wahlbeobachter sehen die Demokraten, die deutlich besser abschnitten als von Umfragen vorhergesagt, gestärkt aus den Wahlen hervorgehen – die „rote Welle“, d. h. ein Erdrutschsieg der Republikaner, ist ausgeblieben, obwohl die Zwischenwahlen von den US-Wählern traditionell dazu genutzt werden, die Partei des Präsidenten abzustrafen
Demokraten behalten Senat – Republikaner erobern Repräsentantenhaus zurück
Zur Ausgangslage: Im Senat verfügten die Demokraten bislang über eine dünne Mehrheit, da auf sie 50 Sitze (48 demokratische plus zwei unabhängige Senatoren) entfielen, während die Republikaner ebenfalls 50 Sitze auf sich vereinen konnten. Bei der damit einhergehenden Stimmengleichheit entscheidet die Präsidentin des Senats und demokratische Vizepräsidentin Kamala Harris mit ihrer Stimme, wodurch die Demokraten bislang in dieser Kammer über die Mehrheit verfügten. Im Repräsentantenhaus vereinten die Demokraten 221 der vorhanden Sitze auf sich, während die Republikaner die übrigen 212 Sitze hielten. Damit bildeten die Demokraten auch in der zweiten Kammer der US-Kongress bislang die Mehrheit.
Nach dem letzten Stand der Auszählungen haben die Demokraten ihre Mehrheit im Senat verteidigt. Sie konnten im Bundesstaat Nevada einen hart umkämpften Senatssitz halten und kommen damit auf die nötige Anzahl von 50 Senatoren, um diese Kongresskammer zu kontrollieren, auch wenn die endgültige Zusammensetzung des Senats wohl erst am 6. Dezember klar sein wird. Dann nämlich stimmen die Wählerinnen und Wähler in Georgia1 in einer Stichwahl endgültig über ihren nächsten Senator ab. Ob die Demokraten dort gegen die Republikaner gewinnen, ist nicht unerheblich: Es macht einen kleinen, aber wichtigen Unterschied, ob sie 50 oder 51 Senatoren und Senatorinnen haben. Bei 51 würde sich auch die Zusammensetzung des Justizausschusses des Senats ändern: von je elf Mitgliedern auf zwölf für die Demokraten und zehn für die Republikaner. Die Republikaner kommen derzeit auf 49 Senatssitze.
Im Repräsentantenhaus haben die Republikaner die für eine Mehrheit erforderlichen 218 Sitze sicher, also mehr als die Hälfte der 435 in der Kongresskammer, wie US-Medien auf Grundlage von Stimmauszählungen und Prognosen berichteten. Die Demokraten liegen aktuell bei mindestens 212 Sitzen. Fünf Sitze sind demnach noch offen (Stand: 18. November). Damit kommt es, wie bereits in den Tagen unmittelbar nach der Abstimmung von vielen Wahlbeobachtern erwartet, zu einem „gespaltenen Kongress“, in dem die eine Kammer an die Demokraten und die andere and Republikaner fällt. Einen solchen geteilten Kongress hat es gerade nach Midterms schon häufig gegeben.

Mögliche Auswirkungen des „gespaltenen Kongresses“
Trotz des überraschend guten Abschneidens der Demokraten gehen weder sie noch die Republikaner als klarer Sieger aus den Zwischenwahlen hervor. Vor diesem Hintergrund ist davon auszugehen, dass der amtierende US-Präsident auch weiterhin Schwierigkeiten haben dürfte, wichtige Teile seine Agenda umsetzen zu können. Schon bislang half Joe Biden die winzige Mehrheit im Senat nur bedingt, weil seine Vorhaben nicht nur bei den Republikanern, sondern auch in seinen eigenen Reihen auf Widerstand stießen. So scheiterten große Teile des ursprünglichen von der Biden-Regierung konzipierten „American Jobs Plan“ sowie des „American Families Plan“ zuletzt an der zu geringen Mehrheit der Demokraten in beiden Kammern des Kongresses.
Abgesehen von legislativen Änderungen hat die Rückeroberung des Repräsentantenhauses durch die Republikaner auch Auswirkungen auf wichtige Nominierungen von Präsident Biden. Allerdings sind die Auswirkungen etwa auf die Zusammensetzung des geldpolitischen Ausschusses der US-Notenbank mutmaßlich begrenzt. Im Gouverneursrat der Notenbank (Board of Governors) gibt es derzeit keine offenen Stellen, und nur die Amtszeit von Gouverneurin Lisa Cook läuft in den nächsten zwei Jahren aus. Es steht aber zu erwarten, dass die Republikaner Präsident Biden das Leben darüber hinaus mit Untersuchungsausschüssen oder möglichen Amtsenthebungsverfahren schwer machen werden. Letztere dürften allerdings an der Senatsmehrheit der Demokraten scheitern.
Der Ausgang der Zwischenwahlen sollte im Übrigen keine wesentlichen Änderungen auf die US-Finanzpolitik in den nächsten zwei Jahren haben. Die Notwendigkeit, nennenswerte Anpassungen unserer Wachstums-, Inflations- und Leitzinsprognosen vorzunehmen, sehen wir daher nicht. Wir gehen aber davon aus, dass das Risiko eines Regierungsstillstands (government shutdown)2 in den nächsten zwei Jahren nicht kleiner geworden ist, da sich beide Parteien mutmaßlich nicht auf einen neuen Haushalt im Jahr 2023 werden einigen können. Sollte in diesem Fall der Streit über eine Anhebung der Schuldenobergrenze im nächsten Sommer eskalieren, könnte dies die Sorge vor einem Zahlungsausfall der USA schüren und die Volatilität an den Märkten erhöhen.
Ein Blick in die Historie lässt unterdessen vermuten, dass die Märkte das Wahlergebnis grundsätzlich positiv aufnehmen. In den vergangenen 18 politischen Zyklen ist der S&P 500 nach Angaben von Oxford Economics im Jahr nach den Zwischenwahlen um durchschnittlich über 15 % gestiegen (siehe Grafik 2). Die durchschnittlichen jährlichen Renditen des S&P 500 betrugen 14 %, wenn der Kongress geteilt war, so eine von Reuters zitierte Analyse von RBC Capital Markets basierend auf Daten seit 1932. Sie lagen bei 13 %, wenn der Kongress von den Republikanern gehalten wurde und der Präsident ein Demokrat war. Zum Vergleich: Als die Demokraten den Präsidenten und den Kongress kontrollierten, lag die Rendite bei 10 %.

Auffallend viele republikanische Kandidaten, deren Kampagnen vom ehemaligen Präsidenten Donald Trump entscheidend unterstützt wurden, sind bei den Zwischenwahlen unterdessen gescheitert. Mit Blick auf die Präsidentschaftswahlen 2024 könnte dies Trumps innerparteilichen Rivalen Auftrieb geben – insbesondere Ron DeSantis, der die Wiederwahl als Gouverneur in Florida mit einem starken Ergebnis gewinnen konnte.
1 Weder der demokratische Amtsinhaber Raphael Warnock noch sein Herausforderer von den Republikanern, Herschel Walker, kamen hier bislang auf das notwendige Quorum von mehr als 50 % der Stimmen.
2 Zu einem Regierungsstillstand kommt es, wenn die Legislative wichtige Gesetzesentwürfe zur Finanzierung oder Ermächtigung der Exekutive nicht verabschiedet, was dazu führt, dass ein Teil oder der gesamte Betrieb einer Regierung eingestellt wird. In den USA kommt es seit 1980 regelmäßig zu einem Regierungsstillstand, wenn es nicht gelingt, die entsprechenden Gesetzesentwürfe zu verabschieden, bevor die vorherigen auslaufen. Der jüngste Shutdown fand im Dezember 2018 statt.