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Anzeichen für Rückgang der Kreditvergabe – Auswirkungen auf die Konjuktur  bleiben abzuwarten

Nachdem im März einzelne Banken mit sehr spezifischen Problemen in den USA und der Schweiz in Schieflage geraten waren, was vorübergehend für starke Kursverluste von Bankaktien und Turbulenzen an den Finanzmärkten sorgte, haben sich letztere in der Rückschau sehr widerstandsfähig gezeigt – nicht zuletzt auch dank der raschen und entschiedenen Intervention der Aufsichtsbehörden bzw. Regierungen in den USA und der Schweiz. Wie erwartet verlagerte sich der Fokus der Finanzmärkte nach der Phase erhöhter Volatilität wieder auf Inflations- und Wachstumsthemen. Gleichzeitig mehren sich mittlerweile die Anzeichen, dass die jüngsten Ereignisse dazu beitragen, dass die Banken – bei gleichzeitig sinkender Kreditnachfrage – im Bezug auf die Kreditvergabe mehr Umsicht walten lassen könnten, mit hemmenden Effekten für das Kreditwachstum beiderseits des Atlantiks.

USA: Kreditvergabe der Geschäftsbanken im März regelrecht eingebrochen, zuletzt aber stabilisiert

Die US-Wirtschaft hat die stärkste geldpolitische Straffung seit Jahrzehnten bislang bemerkenswert solide verkraftet. Angesichts unsicherer Aussichten für die Wirtschaft haben die großen US-Banken ihre Vergabestandards für Kredite an Gewerbe- und Industriebetriebe sowie gewerbliche Immobilienkreditnehmer aber bereits im vierten Quartal 2022 verschärft, so die Ergebnisse der letzten verfügbaren Umfrage der Fed1. Zudem wurde eine geringere Nachfrage von Firmen und Privathaushalten nach Krediten beobachtet. Die US-Banken rechnen in den kommenden Monaten nach Fed-Angaben mit einer weiteren Verschärfung der Kreditvergabestandards, einer Abschwächung der Nachfrage und einer Verschlechterung der Kreditqualität. In der März-Umfrage der Fed zu den Verbrauchererwartungen2 stieg überdies der Anteil der Haushalte, die angaben, dass es schwieriger als ein Jahr zuvor sei, einen Kredit zu erhalten, auf den höchsten Stand seit 2014. Auch für kleine Unternehmen ist der Zugang zu Krediten schwieriger geworden, so der Nationale Verband unabhängiger Unternehmen (NFIB3).

Die Kreditvergabe der Geschäftsbanken in den USA ist infolge der Turbulenzen im US-Finanzsektor regelrecht eingebrochen (siehe Chart 1). Sie fiel in der zweiten Märzhälfte laut Bloomberg so deutlich wie nie seit 1973. In erster Linie war dies auf einen Rückgang der Kredite kleiner Banken zurückzuführen. Auch wenn diese Entwicklung auf eine Verschärfung der Kreditbedingungen hindeutet, ist die Kausalität jedoch nicht ganz eindeutig, und Schlussfolgerungen, ob der Einbruch in erster Linie auf ein geringeres Kreditangebot (und eine strengere Kreditvergabe durch die Banken) oder auf die extreme Marktvolatilität und deren Auswirkungen auf die Kreditnachfrage zurückzuführen war, erscheinen verfrüht. Daten aus der ersten Aprilwoche deuten im Übrigen an, dass der negative Trend in den USA bereits wieder gebrochen ist – Anzeichen dafür, dass die Effekte des Bankenstresses erfolgreich eingedämmt werden konnten.

Euroraum: EZB erwartet langsameres Kreditwachstum

Ein Bick auf die Ergebnisse der letzten EZB-Umfrage zum Kreditgeschäft im Euroraum
(Bank Lending Survey, BLS4) vom Januar 2023 lässt erkennen, dass sich auch im Euroraum die Richtlinien für Kredite an Unternehmen im vierten Quartal 2022 verschärft haben – also noch vor den Turbulenzen an den globalen Finanzmärkten im März (siehe Chart 2): 26 % der Banken meldeten angesichts zunehmender Risiken bezogen auf die Wirtschaftsaussichten bzw. die branchen- oder firmenspezifische Lage sowie einer sinkenden Risikotoleranz der Banken und höherer Finanzierungskosten restriktivere Kreditrichtlinien – zuletzt war das Ausmaß während der Staatsschuldenkrise im Euroraum im Jahr 2011 vergleichbar stark. Auch die Vergaberichtlinien für Wohnungsbaukredite an private Haushalte und für Konsumentenkredite bzw. sonstige Kredite an private Haushalte wurden laut EZB restriktiver.

Gleichzeitig ist aber auch die Kreditnachfrage zurückgegangen, wofür auch die gestiegenen Refinanzierungskosten infolge der Zinswende ursächlich sein dürften. Entsprechend zeigen die jüngsten monatlichen Daten der EZB eine weitere Verlangsamung des Wachstums der Kredite an Unternehmen und private Haushalte, obwohl die Wachstumsrate im Jahresvergleich immer noch positiv ist. Für das erste Quartal 2023 erwarten die Banken im Euroraum per Saldo laut EZB eine weitere Verschärfung der Richtlinien für Unternehmens-, Wohnungsbau- und Konsumentenkredite.

Es scheint naheliegend, dass sich das Kreditwachstum im Euroraum mit der Verschärfung der Finanzierungsbedingungen abschwächen wird. So weist der GS Euro Area Financial Conditions Index5 darauf hin, dass die Bedingungen an den Finanzmärkten des Euroraums – anders als in den USA, wo sie sich wieder im akkommodierenden Bereich befinden – aktuell sogar strenger sind als zu Beginn der Corona-Pandemie (siehe Grafik 3). Die EZB6 selbst hat verschiedentlich signalisiert, dass sie, neben der Tatsache, dass ein potenziell schwindendes Vertrauen von Verbrauchern und Investoren die Kreditnachfrage belasten könnte, eine Verschärfung der Kreditvergabestandards und eine langsameres Kreditwachstum erwartet.

Interessanterweise deuten jüngere Umfragen in Deutschland bislang nicht darauf hin, dass die Ereignisse im März dazu geführt haben, dass die Banken restriktiver bei der Vergabe von Unternehmenskrediten geworden sind. Laut einer Umfrage des ifo Instituts7 berichteten im März 22,7 % der Unternehmen, die zum Zeitpunkt der Befragung Verhandlungen mit ihren Banken führten, dass letztere zurückhaltender bei der Kreditvergabe geworden seien. Verglichen mit Dezember (30,0 %) ist ihr Anteil signifikant gesunken. Insbesondere in der Industrie (von 27,8 % auf 17,3 %) bzw. im Dienstleistungsgewerbe (von 34,6 % auf 26,5 %) sind deutliche Rückgänge bei der so genannten Kredithürde8 zu beobachten. Ob dieser Trend anhält, scheint aber fraglich. So zeigt unter anderem eine Studie der Wirtschaftsprüfungs- und Beratungsgesellschaft EY9, dass in Deutschland zwei von drei deutschen Banken mit einem Rückgang der Kreditvergabe in diesem Jahr rechnen.

Implikationen für Geldpolitik und wirtschaftliche Entwicklung

Das Zusammenspiel von Spannungen im Bankensektor, anhaltend hoher Inflation und restriktiver EZB-Politik hat unlängst Goldman Sachs Research empirisch analysiert und kommt zu dem Schluss, dass starke Kursverluste von Bankaktien in der Vergangenheit häufig zu einer Verschärfung der Kreditbedingungen und in der Folge zu einer sinkenden Kreditvergabe geführt haben – mit belastenden Effekten für das Wirtschaftswachstum einerseits und leicht dämpfenden Effekten auf die Kerninflation andererseits, worauf die EZB in der Regel mit einer Senkung des Einlagensatzes reagiert hat. Während der Notenbank ein abschließendes Urteil über die Auswirkungen der Entwicklungen der letzten Wochen auf Wachstum und Inflation verfrüht erscheint, dürfte der EZB-Rat mit Blick auf den weiteren Zinspfad zunehmend abwägen, inwieweit der jüngste Bankenstress die Wirtschaft belasten könnte. Wir rechnen damit, dass die Auswirkungen spürbar, wenngleich überschaubar sein dürften, gehen aber davon aus, dass sie in den USA stärker ausfallen als im Euroraum. Das Augenmerk von Investoren und Analysten wird jedenfalls auf die kommenden Veröffentlichungen von Fed und EZB zur Kreditvergabe in den USA bzw. im Euroraum (Anfang Mai) gerichtet sein, die neue Erkenntnisse über die Kreditvergabe liefern dürften – und damit auch über die weiteren wirtschaftlichen und geldpolitischen Entwicklungen.

1 Siehe Meinungsumfrage zu den Kreditvergabepraktiken der Banken vom Januar 2023 (Link: https://www.federalreserve.gov/data/documents/sloos-202301-fullreport.pdf)

2 Siehe Fed-Umfrage zu den Verbrauchererwartungen (Link: https://www.newyorkfed.org/newsevents/news/research/2023/20230410)

3 Siehe Pressemitteilung der National Federation of Independent Business (NFIB), einem Kleinunternehmerverband in den USA, der kleine und unabhängige Unternehmen vertritt (Link: https://www.nfib.com/content/press-release/economy/small-business-optimism-declines-slightly-in-march)

4 Siehe auch Pressemitteilung der Bundesbank vom 31. Januar 2023 (Link: http://www.bundesbank.de/resource/blob/904056/f638118a4a7478463f978167d761928c/mL/2023-01-31-umfrage-kreditgeschaeft-download.pdf)

5 Der Goldman Sachs Financial Conditions Index (FCI) ist definiert als “ein gewichteter Durchschnitt aus risikolosen Zinssätzen, Wechselkursen, Aktienbewertungen und Kreditspreads mit einer Gewichtung, die dem direkten Einfluss der einzelnen Variablen auf das BIP entspricht”. (Link: https://www.goldmansachs.com/insights/pages/case-for-financial-conditions-index.html)

6 Siehe unter anderem Ausführungen von EZB-Vizepräsident Luis de Guindos vom 1. April (Link: https://www.ecb.europa.eu/press/key/date/2023/html/ecb.sp230401~d66e5a2335.en.html)

7 Siehe auch ifo-Pressemitteilung vom 31. März 2023 (Link: http://www.ifo.de/pressemitteilung/2023-03-31/banken-weniger-zurueckhaltend-bei-kreditvergabe-fuer-unternehmen)

8 Bei den vierteljährlichen ifo-Konjunkturumfragen werden die teilnehmenden Unternehmen gebeten, die Kreditvergabebereitschaft von Banken einzustufen, woraus das Institut den Indikator „Kredithürde“ berechnet.

9 Siehe auch EY Kreditmarktstudie 2023 (Link: https://assets.ey.com/content/dam/ey-sites/ey-com/de_de/news/2023/04/ey-kreditmarktstudie-2023.pdf)