Im Dialog

Unsere lokalen Chief Investment Officer (CIOs) im Austausch mit unseren Kunden

Italien

Besteht die Gefahr einer zweiten „Euro-Schuldenkrise“?

Die Ergebnisse der jüngsten Wahlen zum Europäischen Parlament und die Entscheidung des französischen Präsidenten Emmanuel Macron, vorgezogene Neuwahlen auszurufen, hatten erhebliche Auswirkungen auf die Finanzmärkte des Euroraums. Der Abstand zwischen den Renditen 10-jähriger französischer Staatsanleihen und den entsprechenden deutschen Bunds liegt derzeit bei rund 80 Basispunkten (Bp), gegenüber 50 Bp Ende Mai. Auch der Renditeabstand italienischer Staatsanleihen hat sich gegenüber Bundesanleihen im gleichen Zeitraum von 130 Bp auf 160 Bp erhöht. Dies sind signifikante Bewegungen, die an bestimmte schwierige historische Phasen für die Schulden der so genannten Peripherieländer des Euroraums erinnern –- insbesondere an den Zeitraum, der als Schuldenkrise des Euroraums bekannt ist und sich zwischen 2010 und 2012 abspielte. Obwohl die Unsicherheit und Volatilität bis zu den Neuwahlen in Frankreich anhalten dürfte, sind wir aber nicht der Meinung, dass wir uns in der Nähe einer Krise befinden, die eine grundlegende Überprüfung des strategischen Ansatzes unserer Anlageportfolios erfordern würde.

Ein Blick auf das makroökonomische Umfeld lässt erkennen, dass die Ereignisse des Zeitraums 2010-12 in erster Linie eine Folge der angespannten öffentlichen Finanzen der am höchsten verschuldeten Länder des Euroraums nach der weltweiten Rezession von 2008-09 waren. Der Höhepunkt der Krise wurde damals mit der Umstrukturierung der griechischen Schulden erreicht. Systematisch betrachtet hat die Corona-Pandemie zwar zu einem Anstieg der durchschnittlichen Staatsverschuldung in Europa geführt – im Großen und Ganzen aber gleichmäßig verteilt unter den europäischen Ländern. Daher sehen wir keine Probleme einer relativen Verschlechterung oder einzelnen Länder, deren finanzielle Lage deutlich angespannter als die anderer ist. Darüber hinaus haben die Gesundheitskrise und der Krieg in der Ukraine dazu geführt, dass wirtschaftspolitische Maßnahmen zur Unterstützung von Unternehmen und Verbrauchern auf Kosten der öffentlichen Haushalte im Wesentlichen akzeptabel und fast schon notwendig erscheint. EU und EZB haben im Laufe der Jahre zudem die Überwachungs-, Unterstützungs- und Interventionsmechanismen verfeinert, um Risiken eines übermäßigen Anstiegs der Finanzierungskosten einzelner Mitgliedsstaaten einzudämmen. Ein weiterer wesentlicher Unterschied zwischen damals und heute besteht darin, dass das europäische Finanzsystem und insbesondere die Banken heute deutlich stabiler sind und über eine erhebliche Kapitalausstattung verfügen, um Stressphasen zu bewältigen.

Die Ausweitung der Risikoaufschläge (Spreads) zwischen Deutschland und anderen Ländern wie Frankreich ist im Wesentlichen auf einen erheblichen Rückgang der Bund-Renditen zurückzuführen, die teilweise von ihrer Rolle als sicherer Hafen profitierten. Gleichzeitig war eine ähnliche Abwärtsbewegung bei den Renditen von US-Staatsanleihen zu beobachten. Erneut haben Anleger und Investoren ihre Erwartungen bezüglich des Beginns und Umfang möglicher Zinssenkungen seitens der Fed nach deren letzter Sitzung im Lichte der jüngsten Arbeitsmarkt- und Inflationsdaten angepasst.

Auch die klare Ausrichtung der EZB-Politik stimmt uns positiv: Nach der ersten Senkung im Juni erwarten wir im zweiten Halbjahr zwei weitere Zinssenkungen, eine pro Quartal, so dass der Einlagensatz Ende des Jahres bei 3,25 % liegen dürfte. Die restriktivste Phase der Geldpolitik scheint also hinter uns zu liegen, sowohl was die Höhe der Finanzierungskosten als auch was die quantitative Straffung, d.h. die Reduzierung der Zentralbankbilanz, betrifft.

Mit Blick auf die Portfoliokonstruktion ist der Großteil unseres Anleiheportfolios in Instrumente investiert, die in Bezug auf Liquidität und Bonität von hoher Qualität sind: Staatsanleihen und Unternehmensanleihen mit Investment Grade Rating. Daher werden die Auswirkungen der jüngsten Spread-Ausweitung durch unsere Allokation in deutsche Staatsanleihen und Unternehmensanleihen abgemildert, die dank ihres Carry (Differenz zwischen dem Ertrag aus dem Halten der Kassaposition und den Refinanzierungskosten am Geldmarkt) ungünstige Bewegungen in anderen Bestandteilen des Portfolios auffangen können. Wichtig ist auch, an unseren globalen Ansatz bei Aktienanlagen zu erinnern und damit an einen weiteren Faktor, der als Absicherung gegenüber politischen Risiken in Europa dienen kann: Die natürliche Präsenz des US-Dollars als Ergebnis unserer Positionen in US-Anlagen. Zuletzt war eine Aufwertung des US-Dollars gegenüber dem Euro zu beobachten, die dazu beigetragen hat, den Gesamtwert unserer Portfolios zu erhalten. Zusammenfassend kann man feststellen, dass wir, auch wenn sich die politische Unsicherheit in Europa infolge der jüngsten Ereignisse erhöht hat, bestens gerüstet sind für jegliche Phasen, in denen die Märkte von erhöhter Volatilität geprägt sind.

 

Alessandro Caviglia, Chief Investment Officer Italy, UniCredit SpA

Österreich

Welche Folgen hat die Verurteilung von Donald Trump mit Blick auf die US-Präsidentschaftswahl?

Donald Trump ist der erste ehemalige US-Präsident, der jemals wegen eines Verbrechens verurteilt wurde. Der Vorsitzende Richter, Juan Merchan, steht nun vor der beispiellosen Aufgabe, das Strafausmaß für Trump zu verkünden. Am 11. Juli – vier Tage vor dem republikanischen Nationalkonvent – wird der Richter zwischen Gefängnis, Bewährung oder einer bedingungslosen Entlassung, also gar keiner Strafe, entscheiden. Es besteht die Möglichkeit einer Gefängnisstrafe, aber als Ersttäter ist es unwahrscheinlich, dass Trump tatsächlich inhaftiert wird. Letzterer kann auch Berufung einlegen, wo das Verfahren Monate oder Jahre dauern könnte.

Trump sieht sich drei weiteren Strafverfolgungen gegenüber: Zwei wegen seiner angeblichen Bemühungen, den Wahlsieg von Präsident Joe Biden im Jahr 2020 zu kippen, und eine wegen des Vorwurfs, er habe nach seinem Verlassen des Weißen Hauses illegal geheime Dokumente aufbewahrt. Trump konnte die drei anderen Strafverfahren, mit denen er konfrontiert ist, erfolgreich verzögern. Keines dieser drei Verfahren wird vor dem Wahltag im November verhandelt werden. Wenn er gewählt wird, wird Trump der erste verurteilte Straftäter sein, der Oberbefehlshaber der USA wird. Trump kann jedoch trotzdem für das Präsidentenamt kandidieren. Nichts in der US-Verfassung verbietet einem verurteilten Kriminellen, ein Amt zu bekleiden. Sollte Trump wiedergewählt werden, könnte er sich nicht selbst begnadigen. 

Die Märkte scheinen vom jüngsten Urteil nicht direkt beeinflusst zu werden. Nur die Aktien von Trumps Social-Media-Unternehmen fielen nach dem Schuldspruch deutlich, erholten sich aber wieder leicht. Andere Marktbewegungen lassen sich nur schwer mit dem Urteil in Verbindung bringen. Die Marktteilnehmer denken, es sei noch zu früh, um zu beurteilen, wie sich weitere Gerichtsentscheidungen auf die Märkte auswirken würden. Die aktuelle Verurteilung bedeutet nicht unbedingt, dass Trumps Chancen auf einen Sieg im November gesunken sind. Und ein volatiles politisches Umfeld überträgt sich manchmal auf die Märkte. Wir müssen auch bedenken, dass die Familie Biden ebenfalls mit Rechtsstreitigkeiten konfrontiert ist. Hunter Biden, der Sohn des US-Präsidenten, steht vor Gericht, weil er beim Kauf einer Pistole über seinen Drogenkonsum gelogen haben soll. Eine Umfrage von Mitte Mai ergab, dass 46 % der registrierten Wähler meinen, der Präsident habe in Bezug auf seinen Sohn etwas Illegales getan. Das ist nicht viel weniger als die 54 %, die dasselbe über Herrn Trump im Manhattan-Fall sagten. Das Trump-Wahlkampfteam gab bekannt, es habe in den 24 Stunden nach dem Urteil fast 53 Mio. US-Dollar an Spenden gesammelt. Davon waren mehr als ein Drittel Erstspender. Dies deutet darauf hin, dass die Unterstützung für Donald Trump nicht abgenommen hat.

Darüber hinaus konnte er auch einige bekannte Namen als Unterstützer gewinnen. So gab es beispielsweise Meldungen, dass der Hedgefonds-Milliardär Bill Ackman dazu neigt, Donald Trump bei den US-Wahlen zu unterstützen. Alles in allem scheint es also zu früh, um eine Schlussfolgerung darüber zu ziehen, was Trumps Verurteilung für die Wahl bedeuten wird. Welchen Einfluss Wahlen auf die Finanzmärkte haben, ist generell umstritten. Das allgemein akzeptierte Argument aus dem Jahr 2016, dass ein Sieg Donald Trumps US-Aktien belasten würde, erwies sich als falsch. Steigende politische Unsicherheit könnte allerdings zu erhöhter Volatilität an den Aktienmärkten führen.

 

Oliver Prinz, Co-Chief Investment Officer of UniCredit Bank Austria AG and Schoellerbank AG

Deutschland

Wie bewerten Sie den Ausgang der Wahl des Europäischen Parlaments?

Nach dem recht klaren Sieg des Mitte-Rechts-Bündnisses der Europäischen Volkspartei mit der deutschen Spitzenkandidatin Ursula von der Leyen bei der Wahl des Europäischen Parlaments kann die 65-Jährige auf eine weitere Amtszeit als Präsidentin der EU-Kommission hoffen. Gleichzeitig konnte sich die politische Mitte bei der Wahl behaupten: Die gemäßigten, pro-europäischen Parteien, zu denen neben der Europäischen Volkspartei unter anderem auch die Sozialdemokraten, die Grünen und die Liberalen gehören, verfügen weiterhin über eine deutliche Mehrheit im Europäischen Parlament (auch wenn sie verglichen mit 2019 kleiner geworden ist). Das sind zunächst einmal gute Nachrichten. Insgesamt dürfte das Wahlergebnis keine fundamentalen Umwälzungen nach sich ziehen, auch wenn das eher schwache Abschneiden der Grünen reflektiert, dass das Thema Sicherheit dem Klimaschutz angesichts der tektonischen Verschiebungen der letzten Jahre bei dieser Wahl offenbar (vorübergehend) den Rang abgelaufen hat.

Sorge macht, dass im Europäischen Parlament künftig mehr Abgeordnete aus rechten Parteien sitzen. Auch in den beiden größten Mitgliedsstaaten der Europäischen Union, Frankreich und Deutschland, erhielten zwei euroskeptische, rechtsnationale Parteien – Marine Le Pen’s Rassemblement National und die Alternative für Deutschland – die meisten Stimmen. Der Blick richtet sich insbesondere nach Frankreich, wo Präsident Emmanuel Macron unmittelbar nach der Wahl die französische Nationalversammlung auflöste und überraschend Neuwahlen ankündigte, in zwei Wahlgängen am 30. Juni und 7. Juli. Nachdem Frankreichs Regierungsbündnis in der Nationalversammlung bereits seit knapp zwei Jahren keine absolute Mehrheit mehr besitzt, könnte Macron im ungünstigsten Fall gezwungen sein, die letzten drei Jahre seiner Präsidentschaft in „Kohabitation“17 mit einer von Le Pen dominierten Legislative zu verbringen, was seinen Einfluss auf innenpolitische Angelegenheiten wohl deutlich einschränken würde.

Damit fällt die Neuwahl in Frankreich zusammen mit jener in Großbritannien, wo nahezu alle Umfragen Regierungschef Rishi Sunak und seinen Tories für Anfang Juli eine deutliche Wahlniederlage vorhersagen. Europa erlebt in politischer Hinsicht also unruhige Zeiten. Das dürfte sich auch an den Finanzmärkten bemerkbar machen. Die europäischen Aktienmärkte zeigten sich durch den Ausgang der EU-Wahl zunächst belastet, mutmaßlich eine Folge der Unsicherheit bezüglich des finanzpolitischen Kurses in Frankreich und einer möglichen Schwächung der deutsch-französischen Achse. Während ein abschließendes Urteil, welche Implikationen das Wahlergebnis mittelfristig für die Finanzmärkte haben könnte, verfrüht erscheint, sind Anleger und Investoren in erster Linie an (politischer) Stabilität interessiert. Umso mehr sehen wir sie gut beraten, sich nicht von kurzfristigen Verwerfungen beunruhigen zu lassen und an ihren mittel- bis langfristigen Planungen festzuhalten. Bei allen politischen Volten ist es vor allem die umfassende Analyse der makroökonomischen Rahmenbedingungen und der Marktfundamentaldaten, die unserer Einschätzung nach fundierte und langfristig erfolgversprechende Anlageentscheidungen möglich macht. Dabei bleibt eine angemessene Diversifikation des Portfolios ein zentraler Baustein unserer Anlagestrategie.

 

Philip Gisdakis, Chief Investment Officer Germany, UniCredit Bank GmbH (HypoVereinsbank)

17 Bei der „Kohabitation“ gehören der Präsident und der Regierungschef unterschiedlichen Parteien an. Sollte der Rassemblement National die Mehrheit im Parlament erlangen, müsste Macron jemanden aus den Reihen dieser Partei zum Ministerpräsidenten ernennen, der dann die Ressortkollegen bestimmt.