CIO Kommentar

Ausblick auf „Kapitalmarktwetter“ scheint wohltemperiert

Die Reaktion der Kapitalmärkte auf die Wahl des Europäischen Parlaments und die Ankündigung von Neuwahlen in Frankreich verdeutlicht einmal mehr, wie nervös Anleger und Investoren derzeit bezüglich politischer Entwicklungen sind. Zu dem bereits beeindruckenden Wahlkalender des Jahres 20241 – einige Wahlen, wie jene in Indien oder die Europawahl liegen bereits hinter uns – gesellen sich nun zwei weitere Wahltermine: die Parlamentswahlen in Frankreich und in Großbritannien. Die für die Märkte vermutlich bedeutendsten Wahlen, die in den USA, stehen im November an (wir berichteten in den vergangenen Ausgaben).

Obwohl das Interesse der Marktteilnehmer an derartigen Ereignissen nachvollziehbar ist, spiegelt es doch insbesondere die Sorge um die politische Stabilität wider, sollte man andere wichtige Faktoren, die das Marktgeschehen beeinflussen, nicht außer Acht lassen: Die Inflation normalisiert sich weiter. Die Europäische Zentralbank (EZB) hat Anfang Juni zum ersten Mal seit längerer Zeit die Zinsen gesenkt. Wirtschaft und Unternehmensgewinne ziehen an. Europa arbeitet sich langsam aus der Schwäche der letzten Quartale heraus.

Schauen wir uns zunächst ein paar wichtige Datenpunkte genauer an. Seit dem vierten Quartal 2022 pendelte das Wirtschaftswachstum in der Eurozone um die Null. Das erste Quartal dieses Jahres zeigt nun aber ein Wachstum von 0,3 % auf Quartalsbasis2. Auch in Deutschland, dessen Wirtschaftsleistung seit dem Ausbruch des Ukrainekrieges sogar in einigen Quartalen zurückging, war das erste Quartal 2024 von positiver Dynamik gekennzeichnet. Die Durststrecke scheint überwunden. Darauf deutet auch der wichtige Ifo-Index3 hin. Die für die Kapitalmärkte wichtige Erwartungskomponente des Index ist zuletzt zum vierten Mal in Folge gestiegen. Die deutschen Unternehmen blicken also optimistischer in die Zukunft. Das gilt auch für die in den vergangenen Quartalen arg gebeutelten Branchen der Industrie und Bauwirtschaft, in denen sich nun auch Verbesserungen abzeichnen. Der Präsident des Ifo-Instituts, Clemens Fuest, kommentierte die jüngste Veröffentlichung wie folgt: „Man kann sagen: Insgesamt arbeitet sich die deutsche Wirtschaft schrittweise aus der Krise heraus. Wir haben keinen kräftigen Aufschwung, aber immerhin: Es geht langsam in die richtige Richtung.“

Die Stimmungsaufhellung der Märkte lässt sich auch an den Wachstumserwartungen und dem Ausblick für das Gewinnwachstum von europäischen und US-Aktien ablesen. Für die US-Wirtschaft erwartet der Konsens4 der Volkswirte im Jahr 2024 ein Wachstum von 2,4 %, gefolgt von einem Durchschnittswachstum in 2025-26 von knapp unter 2 %. Für dem Euroraum liegt die Wachstumserwartung für dieses Jahr deutlich niedriger, bei 0,7 %, es wird aber erwartet, dass 2025 und 2026 knapp 1,5 % erreicht werden. Hinzu kommt, dass die Wachstumserwartungen für 2024 derzeit positive Revisionen erfahren, die Konsens-Erwartungen hellen sich also sukzessive auf. Für Europa bedeutet das, dass sich das Wachstum in den kommenden Jahren beschleunigen sollte, wenn auch von einem spürbar niedrigeren Niveau aus als beispielsweise in den USA.

Bei den Gewinnerwartungen für börsennotierte Unternehmen ist die Situation ähnlich. Die Erwartung ist, dass sich die Unternehmensgewinne in Europa, nach den stagnierenden Gewinnen 2023 und (vermutlich) 2024, in den Folgejahren beschleunigen. Konsens-Schätzungen sehen für den MSCI Europe ein Gewinnwachstum von 8 % in den kommenden beiden Jahren. Für die USA dürfte die Gewinnwachstumsrate sogar im zweistelligen Bereich liegen. Deutsche Unternehmen nehmen hier einen interessanten Platz ein, denn einerseits dürfte die Gewinne von deutschen Börsenunternehmen im Durchschnitt 2024 eher seitwärts tendieren. In den Folgejahren 2025 und 2026 sieht die Konsens-Schätzung aber ein Wachstum analog dem der US-Unternehmen. Ein starkes Signal, das darauf hindeutet, dass die Schwächephase hinter uns liegen könnte.

In diesem positiven „Dreiklang“ – die Inflation normalisiert sich, die Zinsen sinken (weiter) und das Wachstum bleibt robust (USA) bzw. zieht an (Euroraum) – gibt es aber einige Details, die Anleger und Investoren berücksichtigen müssen. Einerseits erscheint es zwar sehr wahrscheinlich, dass die Zentralbanken die Zinsen (weiter) senken werden, aber zumindest im Euroraum sieht es so aus, als wären die Auswirkungen dieser Zinssenkungen auf das langfristige Renditeniveau bereits größtenteils reflektiert. Für 10-jährige deutsche Bundesanleihen – die gemeinhin als sicherer Hafen in der Eurozone angesehen werden – deuten die Konsens-Erwartungen nur noch auf geringfügige Renditerückgange bis 2025 hin. Mit großen Kursgewinnen bei den „sicheren Häfen“ sollten Anleger also im Basisszenario nicht rechnen. Allerdings bieten die Anleihen mit einem Renditeniveau über dem Inflationsziel der EZB (von 2 %) grundsätzlich eine positive Realrendite. Bei US-Staatsanleihen hingegen können Anleger für den Fall, dass die Fed die Zinsen senkt, noch mit Kursgewinnen rechnen. Das Risiko, dass die Fed ihren Lockerungszyklus später beginnen und der Umfang der Zinssenkungen weniger umfangreich werden könnte als erwartet, bleibt aber bestehen.

Mit der Wahl in Frankreich kommt nun ein weiterer Risikofaktor hinzu. Hintergrund der Sorgen ist, dass der Rassemblement National, die Partei von Marine Le Pen, in der Vergangenheit mit wirtschaftspolitischen Forderungen nach Steuersenkungen und zusätzlichen Ausgaben aufgetreten ist, die nicht gegenfinanziert sind und somit das Haushaltsdefizit ausweiten würden. Im Herbst 2022 versuchte die damalige britische Premierministerin Liz Truss mit einem stark defizitären Haushalt die britische Wirtschaft anzukurbeln. Die Märkte reagierten drastisch: Das Pfund verlor an Wert und die Zinsen stiegen massiv an, da Anleger panisch versuchten, britische Staatsanleihen zu verkaufen. Die Episode rief Erinnerungen an die Staatsschuldenkrise in der Eurozone wach und konnte nur durch das Eingreifen der britischen Notenbank mittels eines Anleihekaufprogramms unter Kontrolle gebracht werden. In der Folge musste Liz Truss ihren Hut nehmen und wurde von Rishi Sunak abgelöst. Die globalen Finanzmärkte werden also sowohl das Wahlergebnis in Frankreich also auch ein entsprechendes Regierungsprogramm der neuen französischen Regierung reflektieren. Dabei ist zu berücksichtigen, dass sich auf den Märkten vor dem letzten Regierungswechsel in Italien ähnliche Sorgen breit machten, die sich aber nicht manifestierten. Die Regierung von Georgia Meloni wird gemeinhin als konstruktiv in Bezug auf europäische und wirtschaftspolitische Fragen bewertet. Seit ihrem Wahlsieg im Herbst 2022 hat der italienische Aktienmarkt (gemessen am MSCI Italy) um mehr als 50 % zugelegt (siehe Tabelle).

Der Blick auf das wirtschaftliche Umfeld und die Konsensschätzungen zeigt, dass das aktuelle Basisszenario, das in den Märkten eingepreist ist, für Multi-Asset-Portfolios (also gemischte Portfolios aus Aktien und Anleihen) nahezu ein „best-of-all-worlds“ Szenario darstellt. Die „Kapitalmarkt-Temperatur“ erscheint sozusagen weder zu kalt noch zu warm. Denn wäre das Wachstum zu hoch (also die Temperatur zu warm), stiege auch die Inflation, was zu steigenden Zinsen führen und die Anleiheseite belasten würde. Wäre das Wachstum hingegen zu niedrig (die Temperatur also zu kalt), würden zwar die Zinsen sinken, aber die Unternehmensgewinne kämen unter Druck, was wiederum die Aktienseite belasten würde. Der Ausblick auf das „Kapitalmarktwetter“ scheint also wohltemperiert zu sein. Es zeigen sich aber auch einige Wolken, d.h. Risiken (etwa die Wahlen in Frankreich und den USA). Derzeit lässt sich nur schwerlich einschätzen, ob sie vorbeiziehen, nur einen Regenschauer bringen oder ein handfestes Gewitter. Trotz dieser Risiken bleiben wir zuversichtlich und freuen uns auf unter dem Strich sommerliche Rahmenbedingungen für die Kapitalmärkte.

 

 

 

Manuela D’Onofrio, Head of Group Investment Strategy

Philip Giskdakis, Chief Investment Officer Germany, UniCredit Bank GmbH (HypoVereinsbank)

Alessandro Caviglia, Chief Investment Officer Italy, UniCredit SpA

Oliver Prinz, Co-Chief Investment Officer of UniCredit Bank Austria AG and Schoellerbank AG

In der Februarausgabe unserer Publikationen berichteten wir über das Superwahljahr 2024.

Das entspricht etwa 1,2 % Wachstum annualisiert.

Der Ifo-Geschäftsklimaindex ist ein monatlich vom ifo Institut erstellter weicher Frühindikator für die konjunkturelle Entwicklung in Deutschland. 

Die Konsensus-Schätzung ist der Median in der Verteilung der einzelnen Schätzungen. Der Median ist der Wert, der genau in der Mitte einer Datenreihe liegt, die nach der Größe geordnet ist. Er halbiert die Datenreihe, sodass eine Hälfte der Daten unterhalb und die andere Hälfte oberhalb des Medians in der geordneten Reihe liegt.