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US-Präsidentschaftswahl: Was die Kandidaten im Fall einer Wiederwahl vorhaben

Gespannt blicken Anleger und Investoren auf den ersten Dienstag im November, wenn in den USA der neue Präsident gewählt wird. Die seit Anfang Januar stattfindenden Vorwahlen von Republikanern und Demokraten sind entschieden. Es wird wieder zum Duell zwischen dem aktuellen und dem ehemaligen Präsidenten kommen: Joe Biden und Donald Trump. Wie mit der erhöhten Unsicherheit im Vorfeld der US-Wahlen umzugehen ist, hatten wir bereits im Februar beleuchtet. In diesem Fokus gehen wir näher auf die politische Dimension ein. Wir zeigen auf, welche Implikationen ein Wahlsieg von Biden einerseits haben und welche Veränderungen in andererseits im Falle eines Sieges von Trump insbesondere für die europäische Wirtschaft mit sich bringen könnte.

STATUS QUO: DUELL ZWISCHEN BIDEN UND TRUMP WEITER OFFEN

Bislang konnte Biden kaum davon profitieren, dass sich die US-Wirtschaft weiterhin robust entwickelt (siehe Teil Wirtschaft und Märkte). In jüngsten Umfragen liegen Biden und Trump weiterhin eng beieinander und derzeit ist nicht absehbar, wer im November den Sieg davontragen wird (siehe Grafik 1). Zudem ist die Gruppe an unentschiedenen Wählern groß, und wegen des US-Wahlsystems4 haben landesweite Umfragen ohnehin nur begrenzte Aussagekraft. Die amerikanischen Wähler dürften vor allem daran interessiert sein, wie sich ihre persönliche wirtschaftliche Lage entwickelt. Unter Biden zeigen sie sich in Bezug auf die Wirtschaft allerdings hartnäckig pessimistisch (siehe Grafik 1). Aber auch für Anleger und Investoren dürften mit Blick auf die Wahl ökonomische Fragen die größte Rolle spielen.

Welche Schwerpunkte die Präsidentschaftskandidaten mit Blick auf die Wirtschaft, aber auch in den verschiedenen Politikfeldern bzw. angesichts der geopolitischen Krisen und Herausforderungen setzen, soll im Folgenden beleuchtet werden.

BIDEN ODER TRUMP: WELCHE POSITIONEN VERTRETEN DIE KANDIDATEN?

Steuern/Zölle: Biden befürwortet eine Anhebung des Körperschaftssteuersatzes auf 28 % und damit eine Annäherung an den vor der Amtszeit von Trump geltenden Satz von 35 %. Zudem schlägt er vor, gegen die Steuervermeidung großer multinationaler Unternehmen vorzugehen und die Steuersätze für die reichsten Amerikaner zu erhöhen. Die Ausweitung von Steuergutschriften für Geringverdiener und Familien hält er ebenfalls für notwendig und richtig. Trump hingegen plant, die von ihm 2017 unterzeichnete Gesetzgebung zu verlängern. Dadurch würden die bald auslaufenden Senkungen der Einkommenssteuer für Einzelpersonen sowie die Senkung der Erbschafts- und Vermögenssteuer verlängert und möglicherweise dauerhaft gelten. Den Körperschaftssteuersatz von 21 % will er beibehalten. Allerdings schränkt die ausufernde Staatsverschuldung den fiskalischen Spielraum deutlich ein. Trump verfolgt darüber hinaus eine merkantilistische5 Handelspolitik. Er schlägt einen allgemeinen Zoll von 10 % auf alle US-Einfuhren sowie von 60 % auf Einfuhren aus China vor.

Industriepolitik und (Kampf gegen den) Klimawandel: Der Wiederaufbau der industriellen Kapazitäten, insbesondere durch Nearshoring6, und die weitere Verbesserung der Sicherheit der Lieferketten dürften für beide Regierungen Priorität haben. Allerdings würden sich ihre Ansätze wohl deutlich unterscheiden. Biden hat mit dem Inflation Reduction Act (IRA) historische Investitionen von rund 370 Mrd. US-Dollar7 über zehn Jahre in die nachhaltige Transformation von Wirtschaft und Gesellschaft durchgesetzt und einen Boom bei der grünen Energieerzeugung ausgelöst. Die beiden anderen großen Konjunkturprogramme – der Infrastructure Development and Jobs Act sowie der CHIPS and Science Act – wurden von einer breiten Mehrheit aus Demokraten und Republikanern verabschiedet und haben ebenfalls eine lange Laufzeit. Biden hat ehrgeizige neue Ziele zur Verringerung der Treibhausgas- und CO2-Emissionen definiert. Unter Trump droht ein Rollback: Er will den IRA abschaffen und hat versprochen, die heimische Öl- und Gasproduktion anzukurbeln. Denkbar scheint auch, dass die noch nicht ausgegebenen Mittel des IRA unter Trump in Branchen und Bereiche fließen könnten, die nicht dem eigentlichen Zweck des Programms entsprechen.

China/Taiwan: Parteiübergreifend besteht in den USA Konsens darüber, dass China als Rivale zu betrachten ist und Handelshemmnisse erforderlich sind, um nicht nur die nationale und wirtschaftliche Sicherheit, sondern auch den technischen Vorsprung der USA zu sichern. Gleichwohl gibt es Unterschiede in den Ansätzen. Biden machte zwar viele von Trumps Maßnahmen rückgängig, entschied sich aber wohl aus innenpolitischen Gründen dafür, die Zölle seines Vorgängers auf chinesische Importe beizubehalten. Mitte Mai erhöhte er die Zölle für E-Autos, Solarzellen, Halbleiter und Medizinartikel aus China drastisch. Seine China-Politik trägt einerseits der vorherrschenden Anti-China-Stimmung in der US-Bevölkerung Rechnung und versucht gleichzeitig, die politischen Kosten zu minimieren. Hingegen droht in einer zweiten Amtszeit von Trump angesichts seiner Ankündigung prohibitiv hoher Importzölle von 60 % auf chinesische Waren ein neuer Handelskrieg. Der vielleicht offensichtlichste Unterschied zwischen Bidens und Trumps Chinapolitik ist ihre Haltung gegenüber Taiwan. Biden hat unmissverständlich klar gemacht, dass die USA Taiwan im Falle eines Angriffs durch China verteidigen würde und sich für die Stärkung von Bündnissen in der indopazifischen Region eingesetzt. Trump hingegen hat Taiwan als wirtschaftlichen Konkurrenten gebrandmarkt, der amerikanische Unternehmen “abzocke”. Trumps Gleichgültigkeit gegenüber Taiwan hat China zu Spekulationen veranlasst, dass die USA die Insel aufgeben könnten, sollte er die Wahl gewinnen.

Russland-Ukraine-Krieg: Die USA gelten als wichtigster Verbündeter der von Russland angegriffenen Ukraine und sind der mit Abstand größte Geldgeber für Waffen und Ausrüstung. Nachdem das US-Repräsentantenhaus Ende April nach einer monatelangen innenpolitischen Hängepartie neue Ukraine-Hilfen billigte, ordnete Biden umgehend neue Waffenlieferungen an und warnte, dass Russland als nächsten Schritt einen Nato-Partner angreifen könnte. Trump, der immer wieder Bewunderung für Putin durchschimmern lässt, warnte, er werde Russland “ermutigen”, mit den Nato-Ländern “zu machen, was immer sie wollen”, wenn diese Verbündeten ihren finanziellen Verpflichtungen gegenüber dem Block nicht nachkämen. Er plant, das Engagement der USA in der europäischen Verteidigung zu reduzieren oder gar zu beenden. Inzwischen hat er seine Rhetorik abgemildert, nicht aber ohne die Europäer aufzufordern, die Ukraine bei deren Verteidigung gegen Russland mehr zu unterstützen. Gleichzeitig betonte er zuletzt ungewohnt deutlich, das „Überleben der Ukraine“ sei auch für die USA wichtig.

Nahost-Konflikt: Die USA und Israel sind traditionell Verbündete. Der amtierende US-Präsident steht zwar weiterhin grundsätzlich fest an der Seite Israels, kritisierte zuletzt aber zunehmend Israels Premierminister Benjamin Netanjahu wegen seines Umgangs mit dem Gaza-Krieg. Biden fordert eine Waffenruhe und setzte Waffenlieferungen wegen Bedenken gegen Israels Rafah-Offensive aus. Er steht unter wachsendem innenpolitischem Druck, der ihm mit Blick auf die Wahl gefährlich werden könnte. Viele junge Wähler, die in der Vergangenheit mehrheitlich zu den Demokraten tendierten, missbilligen seinen Umgang mit dem Gaza-Krieg. Trump, der oft mit seiner Unterstützung für Israel prahlt, ist der Meinung, Israel müsse “zu Ende bringen, was es begonnen hat” ohne seine Aussagen näher zu spezifizieren. Auch eine Antwort auf die Frage, wie er im Falle einer Wiederwahl mit der komplexen Konfliktlage in Nahost umgehen würde, blieb Trump bislang schuldig.

(Illegale) Immigration: In der Immigrationsfrage gilt Trump eher als Verfechter einer restriktiven Einwanderungspolitik und eines eher nationalistischen Ansatzes, der die Aufnahme von Flüchtlingen einschränkt und es Asylsuchenden erschwert, in den USA Schutz zu erhalten. Er lässt die Amerikaner glauben, die USA würden von einer Migrationswelle überrollt. Als Reaktion darauf hat auch Präsident Biden, der humanitären Erwägungen grundsätzlich Vorrang einräumt, sein Augenmerk zunehmend auf die südliche Grenze gerichtet und droht mit exekutiven Maßnahmen, um den Zustrom von Menschen in Richtung Norden einzudämmen. Er dürfte sich aber weiterhin für eine umfassende Einwanderungsreform einsetzen, die auch einen Weg zur Staatsbürgerschaft für Einwanderer ohne Papiere vorsieht.

Gesundheit: Während sich Bidens Gesundheitspolitik weiterhin auf Umverteilungsinitiativen konzentrieren dürfte, um den Zugang zur Gesundheitsversorgung zu erweitern, stünden für Trump Wahlfreiheit und Transparenz im Vordergrund. Das größte Streitthema ist die Zukunft des Affordable Care Act (ACA, auch bekannt als Obamacare) von 2010, den Biden zu stärken und Trump abzuschaffen bzw. zu ersetzen versprochen hat. Außerdem steht die Eindämmung des Preisauftriebs insbesondere bei Arzneimitteln im Fokus. Ein weiterer Konfliktpunkt ist die Abtreibung, nachdem der Oberste Gerichtshof der USA im Juni 2022 den Präzedenzfall Roe v. Wade aus dem Jahr 1973 gekippt hat, der allen Frauen im Land das Recht auf Abtreibung zugestand. Eine neue Biden-Regierung würde sich wohl dafür einsetzen, den landesweiten Zugang zu Abtreibungen wiederherzustellen und die reproduktiven Rechte zu erweitern. Unter Trump wäre hingegen mit weiteren Einschränkungen in Abtreibungs- und reproduktive Rechte zu rechnen.

FAZIT: MÖGLICHE AUSWIRKUNGEN AUF WIRTSCHAFT UND MÄRKTE, INSBESONDERE IN EUROPA

Mit rund 1,6 Bio. Euro im Jahr 2023 hat der bilaterale Handel zwischen der EU und den USA einen historischen Höchststand erreicht (Quelle: Europäische Kommission). Europäische Unternehmen erzielen einer Analyse von Morgan Stanley zufolge etwa 25% ihrer nach der Markkapitalisierung gewichteten Einnahmen in den USA.

Unabhängig davon, wer im November ins Weiße Haus gewählt wird, dürfte die Aussicht auf die protektionistische US-Politik der letzten Jahre bestehen bleiben. Zwar ist von Trump eine grundsätzlich wirtschaftsfreundliche Politik zu erwarten, von der nicht nur US-amerikanische, sondern auch europäische Unternehmen profitieren könnten – insbesondere jene, die Tochtergesellschaften in den USA haben. Nichtsdestotrotz könnten die Risiken für Teile des europäischen Aktienmarktes im Fall eines Wahlsiegs von Trump angesichts der zu erwartenden Verschärfung der „America-First“-Politik zunehmen. Der Herausforderung dieses neuen ökonomischen Nationalismus musss sich die exportorientierte europäische Wirtschaft unabhängig vom Wahlausgang stellen – nicht nur in den Handels- und Wirtschaftsbeziehungen: In der US-Klima-Gesetzgebung etwa sind Zuschüsse und Steueranreize an die Produktion in den USA geknüpft.

Der Blick an die Märkte zeigt, dass breit amerikanische Aktienmarkt während Trumps erster Amtszeit als US-Präsident (bei hoher Volatilität) deutlich zulegen konnte. Dies dürfte allerdings eher eine Folge der damals expansiven Geldpolitik und des starken Weltwirtschaftswachstums gewesen sein. Obwohl Europa in der Regel hinter den wachstumsstarken US-Aktien zurückbleibt, war die Underperformance europäischer Aktien in den Trump-Jahren ausgeprägter als während der aktuellen Biden-Regierung (siehe Grafik 2). Aber auch wenn die Androhung neuer oder höherer Zölle auf Einfuhren aus der EU bzw. China die Stimmung gegenüber europäischen (und chinesischen) Aktien belasten dürfte, sehen wir Anleger und Investoren gut beraten, an ihren grundsätzlichen mittel- bis langfristigen Planungen festzuhalten. Dabei bleibt eine angemessene Diversifikation des Portfolios, auch über Regionen, hinweg unabdingbar.

Der US-Präsident wird nicht direkt vom Volk gewählt. In den einzelnen Bundesstaaten werden 538 Wahlleute bestimmt, die dem sogenannten Electoral College angehören. Um zum nächsten Präsidenten gewählt zu werden, benötigt ein Kandidat 270 Stimmen in diesem Wahlgremium.

Der Merkantilismus bezeichnet eine durch massive Staatseingriffe in die Wirtschaft gekennzeichnete Wirtschaftspolitik während der Zeit des Absolutismus zwischen dem 16. und 18. Jahrhundert.

Nearshoring ist die Verlagerung betrieblicher Aktivitäten ins nahegelegene bzw. -stehende Ausland. 

Dazu gehören die Förderung von erneuerbaren Energien, Kaufprämien für Elektroautos, Steuervergünstigungen für Wärmepumpen und Solaranlagen sowie eine Gebühr auf Methan-Ausstoß .