Wirtschaft und Märkte

Wachstumausblick: Konjunktur in den USA und im Euroraum schwächt sich ab, China dürfte Wachstumsziel erreichen

Das Wachstum der Weltwirtschaft dürfte sich in diesem Jahr auf 2,9 % verlangsamen. Auch 2024 erwarten wir keine allzu starke Erholung (BIP-Wachstum von 2,5 %). Die Verlangsamung ist weitgehend auf die verzögerte Wirkung der restriktiveren Geldpolitik zurückzuführen, während die Puffer aus den coronabedingten Ersparnisüberschüssen der privaten Haushalte weiter abnehmen und die Unterstützung durch die Fiskalpolitik nachlässt. Die Gesamtinflation ist seit ihrem Höchststand im Jahr 2022 erheblich zurückgegangen, was in erster Linie auf die gesunkenen Energiepreise zurückzuführen ist, aber auch die Kerninflation ist dank des nachlassenden Drucks auf die Inputpreise rückläufig. Der jüngste Anstieg der Ölpreise dürfte den grundsätzlichen Disinflationstrend nicht wesentlich ändern, da die Gesamtnachfrage weiter nachlässt. Die Leitzinsen in den meisten fortgeschrittenen Volkswirtschaften dürften ihren Höchststand erreicht haben. Zinssenkungen jedoch werden wohl noch eine Weile auf sich warten lassen, bis die Zentralbanken eindeutige datengestützte Beweise dafür sehen, dass sich die Kerninflation nachhaltig in Richtung ihrer Zielvorgaben bewegt.

PROGNOSEREVISIONEN USA: KONJUNKTUR ROBUST, ABER AKTUELLE ENTWICKLUNGEN MACHEN WEITERE ZINSSCHRITTE UNWAHRSCHEINLICH

Für die USA rechnen wir nun mit einem etwas kräftigeren Wachstum von 2 % nach zuvor 1,3 % in diesem Jahr, erwarten aber eine deutliche Abschwächung der wirtschaftlichen Dynamik zum Jahreswechsel 2023/24 und ein weitgehend stagnierendes Jahreswachstum im Gesamtjahr 2024. Die Konjunkturindikatoren haben sich bisher als recht robust erwiesen, der Abwärtstrend in der Industrie scheint gestoppt und der Dienstleistungssektor befindet sich weiterhin im Expansionsbereich (siehe Grafik 2). Dementsprechend ist die vom Konsens der Analysten erwartete Rezessionswahrscheinlichkeit für die US-Wirtschaft zuletzt auf unter 60 % gesunken. Der private Konsum zeigte sich im dritten Quartal unerwartet stark. Diese Stärke dürfte aber nicht anhalten, da sich insbesondere der Arbeitsmarkt weiter abschwächt, die Kreditkonditionen deutlich restriktiver werden und die Ersparnisbildung weiter zurückgehen dürfte. Auf der Inflationsseite erwarten wir, dass die Gesamtinflationsrate bis Ende nächsten Jahres wieder auf rund 2 % zurückgehen wird, wobei die Kernrate dann immer noch leicht über dem Zielwert liegen dürfte. Angesichts dieses makroökonomischen Umfelds gehen wir davon aus, dass die US-Notenbank ihren Zinsgipfel erreicht hat, und rechnen mit Zinssenkungen um kumuliert 150 Basispunkte (Bp) ab März 2024 bis Ende 2024.

Die US-Notenbank hat auf ihrer Sitzung im September den Leitzins unverändert am oberen Ende bei 5,50 % belassen, wenngleich der sogenannte „Dot Plot“ (Zinsausblick des geldpolitischen Rates) nach wie vor auf eine weitere Anhebung in diesem Jahr hindeutet. Für die beiden Folgejahre erwartet die Notenbank nun weniger Zinssenkungen als bisher, mit einem Rückgang der Leitzinsen auf nur noch 5,1 % im Jahr 2024 und 3,9 % im Jahr 2025 (d. h. jeweils 50 Bp mehr als zuvor), was vor allem auf die angehobenen Wachstums- und Inflationsprognosen zurückzuführen ist. Aus dem zuletzt veröffentlichten Sitzungsprotokoll geht jedoch hervor, dass die Notenbankvertreter in ihrem Ausblick durchaus vorsichtiger waren, als es die aktualisierten Konjunkturprognosen vermuten lassen. So deuten die Aufwärtsrevisionen der Prognosen einerseits darauf hin, dass die Fed die Aussichten auf eine weiche Landung der Konjunktur optimistisch einschätzt. Andererseits geht aus dem Sitzungsprotokoll aber auch hervor, dass die Notenbank eine Reihe von Risiken für Wachstum und Inflation weiterhin genau im Auge behält (wie etwa den Rückgang der Ersparnisse, die Verschärfung der Kreditbedingungen, die Abschwächung am Arbeitsmarkt sowie den nachlassenden Lohndruck). Insgesamt wies die Fed darauf hin, dass sich die Aufwärts- und Abwärtsrisiken nun zunehmend die Waage hielten und dass der geldpolitische Kurs als restriktiv und damit konjunkturdämpfend angesehen werde.

Die Entwicklungen seit der letzten Fed-Sitzung haben zu einer deutlich weniger aggressiven Haltung der Notenbank geführt, was sich auch in den Marktkommentaren einzelner Notenbankvertreter widerspiegelt. Neben dem Anstieg der Renditen 10-jähriger US-Staatsanleihen um rund 40 Bp (was in etwa einer weiteren Leitzinserhöhung entspricht) haben dazu auch der Rücktritt des Sprechers des Repräsentantenhauses Kevin McCarthy und der neu aufgeflammte Konflikt zwischen Israel und der Hamas im Nahen Osten beigetragen. Dies wiederum bestärkt uns in unserer Einschätzung, dass die US-Notenbank ihren Zinsgipfel erreicht hat, auch wenn eine weitere Zinserhöhung noch nicht völlig vom Tisch ist.

PROGNOSEREVISIONEN EURORAUM: SCHWIERIGES UMFELD BELASTET WIRTSCHAFT UND DEUTET AUF ZINSGIPFEL DER EZB HIN

Im Euroraum dürfte das Wachstum in der zweiten Hälfte des laufenden Jahres bestenfalls stagnieren, nachdem wir zuvor noch von einer moderaten Expansion ausgegangen waren. Während wir das BIP-Wachstum in diesem Jahr unverändert bei 0,5 % sehen, rechnen wir für 2024 nur noch mit 0,6 % (bisher 1,0 %). Die Konjunkturindikatoren haben sich zuletzt weiter abgekühlt, insbesondere die Industrie befindet sich nach wie vor in einer deutlichen Schwächephase, und auch der Dienstleistungssektor hat spürbar an Dynamik verloren (siehe Grafik 3). So ist es nicht verwunderlich, dass der Konsens der Analysten die Wahrscheinlichkeit einer Rezession für den Euroraum zuletzt auf 50 % angehoben hat, wie die Umfrageergebnisse zeigen. Der Druck auf die Gewinnmargen der Unternehmen angesichts der schwächeren Nachfrage scheint eingesetzt zu haben und dürfte vorerst anhalten. Auf der Inflationsseite rechnen wir mit einer Teuerung von 3,5 % in diesem Jahr und 2,6 % im Jahr 2024. Entsprechend gehen wir davon aus, dass der Straffungszyklus der EZB beendet ist und die Notenbank im nächsten Jahr mit Zinssenkungen beginnen wird. Insgesamt rechnen wir mit einer Leitzinssenkung um kumuliert 75 Bp im Verlauf des nächsten Jahres, vermutlich beginnend ab der Jahresmitte.

Auf ihrer Sitzung im September erhöhte die EZB die Leitzinsen um 25 Bp auf 4,00 %. Darüber hinaus signalisierte sie, dass der Straffungszyklus nun voraussichtlich abgeschlossen ist. Mit Blick auf den Abbau der Zentralbankbilanz wies EZB-Präsidentin Lagarde Spekulationen über eine baldige Änderung der PEPP-Leitlinien3 zurück und bekräftigte ihr Bekenntnis zur Beibehaltung der ersten Verteidigungslinie gegen eine ungerechtfertigte Ausweitung der Renditeaufschläge von Staatsanleihen der Euroländer gegenüber deutschen Staatsanleihen, dem sogenannten Transmissions-Protection-Instrument (TPI). Auch das Protokoll der September-Sitzung deutet darauf hin, dass eine weitere Zinserhöhung eher unwahrscheinlich ist, obwohl die Falken im EZB-Rat zuvor noch vor einer weiteren Straffung gewarnt hatten. Tatsächlich geht der EZB-Rat insgesamt davon aus, dass der Inflationsdruck im Euroraum seinen Höhepunkt erreicht hat und sich weiter abschwächen wird. Andererseits zeigte sich der EZB-Rat zunehmend besorgt über die konjunkturelle Abschwächung in der Region. All dies dürfte die EZB von weiteren Zinserhöhungen abhalten. 

Dennoch besteht ein gewisses Restrisiko für weitere Zinsschritte, sollten die Inflationserwartungen der privaten Haushalte aufgrund steigender Energiepreise deutlich höher ausfallen als erwartet. In Verbindung mit weiterhin historisch hohen Energiekosten infolge des Russland-Ukraine-Konflikts (trotz deutlicher Rückgänge seit den Höchstständen im Jahr 2022) könnte ein erneuter Anstieg der Energiepreise (nicht zuletzt aufgrund des Nahostkonflikts, siehe auch Fokus-Teil) die EZB gegen Jahresende zu weiteren Zinsschritten zwingen (nicht unser Basisszenario).

PROGNOSEREVISIONEN CHINA: FÜR 2023 ANVISIERTES WACHSTUMSZIEL WIRD WOHL ERREICHT

Die Verlangsamung der Weltwirtschaft spiegelt sich auch in der schwächeren Wirtschaftsaktivität Chinas wider. Nach der letzten Veröffentlichung zum BIP-Wachstum im dritten Quartal gehen wir zwar weiterhin davon aus, dass China sein selbst gestecktes Wachstumsziel von „rund 5 %“ im Jahr 2023 erreichen wird, dennoch bleiben eine Reihe von Abwärtsrisiken bestehen. Nach einem kräftigen Aufschwung im ersten Quartal 2023 im Zuge der Wiedereröffnung der Wirtschaft hat die konjunkturelle Dynamik in China an vielen Fronten enttäuscht. Der Konsum entwickelt sich seitdem eher verhalten und die Jugendarbeitslosigkeit verharrt auf einem historisch hohen Niveau. Der Immobiliensektor stellt nach wie vor einen großen Unsicherheitsfaktor für die Wirtschaft dar, da er durch übermäßige Fremdfinanzierung und Verschuldung in einer Zeit belastet wird, in der der Urbanisierungsprozess ausgereift erscheint und die demografischen Trends ungünstig sind. Aufgrund der eher schwachen konjunkturellen Dynamik bewegt sich die Teuerung in China weiterhin am Rande der Deflation. Dennoch konnte Chinas Wachstum im dritten Quartal mit 4,9 % gegenüber dem Vorjahr (1,3 % gegenüber dem Vorquartal) positiv überraschen, da gezielter Konjunkturmaßnahmen vor allem im verarbeitenden Gewerbe und bei Infrastrukturinvestitionen ihre Wirkung zeigten. Für das kommende Jahr rechnen wir mit einem Wachstum von rund 4 %.

Trotz der belastenden Faktoren gibt es auch positive Entwicklungen: So haben sich die jüngsten Einkaufsmanagerindizes auf breiter Basis stabilisiert. Sowohl die Industrie als auch der Dienstleistungssektor zeigen nach Monaten der Kontraktion wieder eine leichte Expansion. Während die Regierung auf der fiskalischen Seite bislang keine umfassenden konjunkturstützenden Maßnahmen ergriffen hat (lediglich eine gewisse Lockerung der Kreditstandards für Hauskäufer zur Stützung des Bausektors), wurden auf der geldpolitischen Seite deutlichere Schritte unternommen. So hat die chinesische Zentralbank nicht nur die Mindestreserveanforderungen für große und mittelgroße Banken in diesem Jahr mehrfach, sondern auch den Zinssatz für die einjährige mittelfristige Kreditfazilität gesenkt. Wir rechnen in Zukunft mit weiteren derartigen Maßnahmen.

FINANZMÄRKTE: IM SPANNUNGSFELD EINER LÄNGER RESTRIKTIVEN GELDPOLITIK UND FLUCHT IN SICHERE HÄFEN

Die Finanzmärkte konnten sich im Oktober etwas erholen, nachdem es im September in vielen Anlageklassen zu deutlichen Kursverlusten gekommen war. Ursächlich für den Ausverkauf im Berichtsmonat September war insbesondere die Neuausrichtung der Märkte auf das unerwartet deutliche Signal der beiden großen westlichen Notenbanken, Fed und EZB, die Leitzinsen länger und höher im restriktiven Bereich zu belassen. Vor allem die Aktienmärkte gaben nach den Notenbanksitzungen im September deutlich nach. So verlor der S&P 500 mehr als 5 %, der DAX mehr als 3 % im Berichtsmonat September (siehe Tabelle). Auf der Rentenseite führten die Kursverluste zu Renditeanstiegen von rund 50 Bp bei US-Staatsanleihen und mehr als 30 Bp bei deutschen Bundesanleihen (siehe Tabelle). Der EUR-USD-Kurs und der Goldpreis gaben in diesem Umfeld stark gestiegener Anleiherendite um knapp 3 % bzw. 6 % nach (siehe Tabelle). 

Durch das erneute Aufflammen des Nahostkonflikts infolge des Angriffs der Hamas auf Israel rückte Anfang Oktober jedoch die Nachfrage nach sicheren Anlagen wieder in den Vordergrund. Dies führte zu deutlichen Kursgewinnen bei Anleihen, insbesondere bei länger laufenden. Von den rückläufigen Anleiherenditen profitierten in der Folge auch die US-amerikanischen und europäischen Aktienmärkte: Sie zeigten sich mit Kursgewinnen von über 2 % beim S&P 500 und gut 1 % beim DAX im Berichtsmonat Oktober (Stand: 16. Oktober 2023, siehe Tabelle), wenngleich die Kursgewinne die Verluste aus dem September nicht vollumfänglich ausgleichen konnten. Der Euro legte im selben Zeitraum gegenüber dem US-Dollar um 0,6 % zu (siehe Tabelle). Gold konnte seinen Charakter als „sicherer Hafen“ ausspielen und im Berichtsmonat Oktober bislang deutliche Kursgewinne von über 5 % verbuchen (siehe Tabelle). Die mittel- bis langfristige Performance von Gold dürften aber vor allem an der Entwicklung der US-Renditen hängen. Der Ölpreis der Sorte Brent, der im September aufgrund der Knappheitssituation auf den Weltmärkten noch Werte über der Marke von 95 US-Dollar pro Barrel erreicht hatte, gab Anfang Oktober aufgrund aufkommender Konjunktursorgen zunächst deutlich nach und fiel unter die Marke von 85 US-Dollar (siehe Tabelle). Im Zuge des Nahostkonflikts und der Sorge um eine weitere Verknappung des Ölangebots hat sich der Ölpreis zuletzt wieder etwas erholt, liegt aber immer noch unter den Höchstständen vom September (siehe auch Fokus-Teil, Stand: 16. Oktober 2023). 

Das Pandemic Emergency Purchase Programme (PEPP) ist ein befristetes Programm zum Ankauf von Anleihen öffentlicher und privater Schuldner, das zu Beginn der Coronapandemie eingerichtet wurde, um die geldpolitischen Transmissionskanäle der EZB sicherzustellen.