CIO Kommentar

Balanceakt

Der fürchterliche Terrorangriff der Hamas auf Israel Anfang Oktober hat uns einmal mehr die Fragilität des Nahen und Mittleren Ostens vor Augen geführt. Die bedrückenden Bilder, ein zweiter Krieg in unmittelbarer Nähe zu Europa, belasten die Stimmung und erhöhen die Unsicherheit auf den globalen Finanzmärkten. Bislang haben letztere aber nicht nachhaltig auf den neu aufgeflammten Nahost-Konflikt reagiert. Anders als in früheren Krisen gab es in der Woche nach dem Terroranschlag weder beim Erdöl noch bei Staatsanleihen massive Preissteigerungen. Allein der Gaspreis legte deutlich zu, was jedoch – neben der Tatsache, dass Israel die Produktion in einem Gasfeld vor seiner Südküste aussetzte – hauptsächlich auf eine beschädigte Pipeline zwischen Finnland und Estland zurückzuführen war. Nichtsdestotrotz schwebt der Krieg in Israel wie ein Damoklesschwert über den Köpfen von Anlegern und Investoren. Die zunehmenden Spannungen im Norden Israels, an der libanesisch-israelischen Grenze, verstärken die Furcht vor einer möglichen Ausweitung, und solange sich keine Entspannung abzeichnet, dürfte die Lage auch auf den Märkten volatil bleiben. 

Der bedeutendste Transmissionskanal der Ereignisse im Nahen Osten in Wirtschaft und Märkte hinein ist der Ölpreis. Dieser zeigte sich in den letzten Wochen – auch schon vor dem Terrorangriff – ziemlich volatil. Wie lässt sich dieser Transmissionskanal einordnen und welche Risiken für Wirtschaft und Märkte könnten sich materialisieren? Die Schlüsselfrage ist hier, wie begrenzt – im regionalen Sinne – der Konflikt bleibt (siehe auch Fokus-Teil): Während im Falle einer lokalen Begrenzung auch die Auswirkungen auf Wirtschaft und Märkte überschaubar bleiben sollten, hätte eine Eskalation des Konflikts in der Region, die rund ein Drittel des weltweiten Rohöls fördert, also ein aktives Eingreifen weiterer Länder, etwa des Iran, weitreichende Folgen – nicht nur für den Ölmarkt, sondern mutmaßlich für die Finanzmärkte insgesamt. 

Angesichts der Natur des Konflikts erscheint es schwer, den weiteren Verlauf der Ereignisse zu prognostizieren. Eine Eskalation mit massiven wirtschaftlichen Auswirkungen ist aus unserer Sicht aber ein Risiko- und kein Basisszenario. Dennoch sind die jüngsten Entwicklungen ein weiterer Belastungsfaktor für die Stimmung auf den Märkten. Der Ölpreis als Transmissionskanal erzeugt ein komplexes (weil nicht lineares) Risikoprofil für die Kapitalmärkte: Ein moderater und langsamer Anstieg des Ölpreises (worauf beispielsweise die Förderkürzungen der Ölexporteure der OPEC+ abzielen) bedeutet zwar einerseits steigenden Inflationsdruck, führt aber nicht notwendigerweise zu weiteren Zinserhöhungen durch die Zentralbanken. Ein massiver und sprunghafter Ölpreisanstieg hingegen wirkt zwar kurzfristig inflationär, würde aber mittelfristig zu einem deutlichen Wachstumseinbruch führen, der sich in der Folge vermutlich stark disinflationär oder sogar deflationär auswirken könnte. In solch einem Szenario wäre nicht ausgeschlossen, dass sich die Zentralbanken gezwungen sähen, die Zinsen sogar zu senken, um die Wirtschaft zu stabilisieren. 

In der aktuellen Gemengelage erscheint es für Anleger wichtig, drei (teilweise interdependente) Rahmenbedingungen sehr genau zu beobachten und auf ihre Implikationen für die globalen Finanzmärkte hin zu bewerten. Die erste Komponente beschreibt die zyklische (oder konjunkturelle) Position im Wachstumszyklus. Diese ist derzeit im Wesentlichen durch die von den Zentralbanken gewünschte wirtschaftliche Abkühlung charakterisiert, die letztlich unausweichlich ist, um den Inflationsdruck unter Kontrolle zu bekommen. Angesichts der massiven Zinserhöhungen der vergangenen Quartale erweist sich die Wirtschaft sowohl in Europa als auch in den USA allerdings erstaunlich robust. Die zweite Komponente ist struktureller Natur und umfasst mögliche Belastungen, aber auch Chancen einer Volkswirtschaft. Europa sieht sich dabei mit zahlreichen, multidimensionalen Herausforderungen konfrontiert. Beispielsweise erfordert die Transformation unserer Energieversorgung erhebliche Investitionen, die wiederum Wachstum generieren und die Märkte beflügeln können. Als dritte Komponente ist der neu aufgeflammte Nahost-Konflikt zu sehen. Er ist aus wirtschaftlicher Perspektive ein (möglicher) exogener Schock, der sich sowohl konjunkturell als auch strukturell auswirken kann, gegebenenfalls aber auch zeitlich begrenzt wirken könnte.

Für Anleger und Investoren stellt sich die Frage, wie es nach dem turbulenten, schwankungsreichen Auftakt in das vierte und letzte Quartal dieses Jahres weitergehen könnte. Während der Nahostkonflikt die Risikoprämien kurzfristig ansteigen ließ (und bei einer weiteren Eskalation noch weiter steigen lassen dürfte) sprechen die zyklische und die strukturelle Komponente mittel- bis langfristig für eine gute Mischung von Aktien und Anleihen in einem Multi-Asset-Portfolio, bei dem renditeträchtige Investments – wie Aktien und Unternehmensanleihen – nicht vernachlässigt werden sollten. Denn mittelfristig dürfte sich mit zu defensiven Anlagestrategien ein realer (also inflationsbereinigter) Werterhalt nur schwierig darstellen lassen, da parallel zu sinkenden Inflationsraten auch die Rendite von Rentenpapieren sinken dürfte.

Trotz der zahlreichen Unsicherheitsfaktoren glauben wir, dass eine Fortsetzung des jüngsten konstruktiven Trends möglich ist. Dieser ist zwar durch die Erwartung einer wirtschaftlichen Abkühlung charakterisiert, eine lange und schwere Rezession wird aber nicht erwartet. Die Wachstumsraten – sowohl für den Euroraum, als auch für die USA – sollten sich im Laufe des Jahres 2024 wieder beschleunigen. Das Szenario einer (begrenzten) wirtschaftlichen Abkühlung ist auf den Märkten aber bereits reflektiert. Gleichzeitig stellt der Krieg in Israel ein zusätzliches Risiko für die Weltwirtschaft dar, vor dem man die Augen nicht verschließen sollte. Statistisch gesehen ist zudem im Jahr vor einer US-Präsidentschaftswahl eine Jahresendrally nicht unüblich. Damit sich eine solche materialisieren kann, müssten aber eine Reihe von Faktoren mitspielen. Insbesondere müssten sich die Renditen für zehnjährige US-Treasuries stabilisieren oder – besser noch – sinken. Mit Blick auf die weitere Entwicklung auf den Märkten hängt daher vieles vom weiteren Verlauf der Geldpolitik ab, also von der Frage, ob die Zinssätze (und Anleiherenditen) am Höhepunkt angekommen sind bzw. wann die Federal Reserve (Fed) beginnen kann, die Zinsen zu senken. Wir erwarten, dass sie den Zinsgipfel bereits erreicht hat, und rechnen im kommenden Jahr (möglicherweise ab März) mit Zinssenkungen um kumuliert 150 Bp. Sorgen um eine weitere konjunkturelle Abschwächung des Euroraums dürften auch die Europäische Zentralbank (EZB) von weiteren Zinserhöhungen abhalten.

Im aktuellen Umfeld spricht vieles für eine Investmentstrategie mit ausgewogener Allokation von Aktien und Renten. Innerhalb des Rentenanteils erscheinen länger laufende Anleihen zunehmend attraktiv. Mit längeren Laufzeiten sichern sich Anleger das aktuell höhere Renditeumfeld, und mit den jüngst gestiegenen Renditen am langen Ende ist der Zinsnachteil gegenüber sehr kurzlaufenden Papieren gesunken. 

 

Manuela D’Onofrio, Head of Group Investment Strategy
Philip Giskdakis, Chief Investment Officer Germany, UniCredit Bank GmbH (HypoVereinsbank)
Alessandro Caviglia, Chief Investment Officer Italy, UniCredit SpA
Oliver Prinz, Co-Chief Investment Officer of UniCredit Bank Austria AG and Schoellerbank AG