CIO Kommentar

Big in Japan

Nach einem von Polykrisen geprägten 2022 brachte das erste Halbjahr 2023 steigende Aktienkurse, weitere Zinserhöhungen der großen westlichen Zentralbanken, eine schwächelnde Wirtschaft in Europa (mit einer technischen, aber keiner schweren Rezession) und eine Reihe von Schlagzeilen-trächtigen Entwicklungen. Für letztere sorgten insbesondere einige US-Regionalbanken mit hausgemachten Problemen (in Folge der steigenden Renditen und offensichtlich nicht-adäquatem Zinsrisikomanagement) und die Übernahme der Credit Suisse durch die UBS in der Schweiz, während der Bankensektor in Europa grundsätzlich zu den Gewinnern in diesem ersten Halbjahr zählte. Auch der mittlerweile beigelegte Schuldenstreit in den USA (welcher zwischenzeitlich für einige Volatilität and den US-Börsen sorgte) hielt Investoren und Anleger über Wochen in Atem. Der an Fahrt aufnehmende Hype um Künstliche Intelligenz (KI) wiederum unterstützte eine Rally der ganz besonderen Art an den US-Börsen, die in weiten Teilen des ersten Halbjahres getragen war von einer Hand voll Einzeltiteln (zuvorderst den „Glorreichen Sieben“1), die in Verbindung mit der erfolgreichen KI-Entwicklung gebracht wurden und werden. Wir betrachten diese auf sehr wenige Titel fußende Entwicklung mit einer gewissen Skepsis. Zwar gehen auch wir davon aus, dass von Fortschritten bezüglich der KI-Forschung erhebliche disruptive und transformatorische Veränderungen in Wirtschaft und Gesellschaft ausgehen dürfte. Die kurzfristigen Implikationen auf Unternehmen und Wirtschaft werden von den Märkten aber vermutlich überschätzt, während die langfristigen Wirkungen unterschätzt werden.  

Der japanische Leitindex Nikkei 225 übertraf den KI-getriebenen Höhenflug des S&P 500 in den vergangenen drei Monaten sogar noch und erreichte unlängst den höchsten Stand seit dem Jahr 1990 (siehe Tabelle). Japanische Aktien sind wieder gefragt und Optimismus macht sich breit, denn das Land der aufgehenden Sonne scheint die Jahrzehnte der Stagnation und Deflation endlich überwunden zu haben. Vor diesem Hintergrund haben wir die Gewichtung japanischer Aktien von „neutral“ auf „übergewichtet“ angehoben. 

Unterdessen erscheint die Wirtschaft sowohl in den USA als auch in Europa trotz der massiven Zinserhöhungen der vergangenen Quartale erstaunlich robust. Wirtschaftsleistung und Unternehmensgewinne entwickeln sich 2023 bisher zwar seitwärts, angesichts der soliden Zahlen des vergangenen Jahres (in Europa wuchsen die Unternehmensgewinne im MSCI Europe im vergangenen Jahr beinahe um 20%) erscheint diese Entwicklung aber eher wie eine Konsolidierung als eine Krise. Zumal für das kommende Jahr wieder mit steigenden Unternehmensgewinnen und wachsender Wirtschaft gerechnet wird. Zwar dürfte das Wirtschaftswachstum in Europa eher verhalten bleiben, die Gewinnrevisionen, also die Änderungen in den Gewinnschätzungen für das aktuelle Kalenderjahr, haben jedoch von einem negativen Trend (also rückläufigen Gewinnerwartungen) zu Beginn des Jahres auf eine positive Entwicklung (wachsende Gewinne) gedreht. 

Auch die jüngsten Entscheidungen der großen Zentralbanken, Federal Reserve (Fed) und Europäische Zentralbank (EZB), die dazu führten, dass die Märkte zuletzt wieder weitere Zinserhöhungen einpreisten, haben bisher keinen bleibenden negativen Eindruck auf den Märkten hinterlassen. 

Die weitere Perspektive für Wirtschaft und Märkte hängt stark von der Inflationsdynamik ab. Sollte sich letztere, entgegen der Erwartungen (auch der unsrigen), nicht abkühlen, könnten die Zentralbanken weitere, derzeit nicht eingepreiste Zinserhöhungen als unumgänglich erachten. In der Folge wäre nicht auszuschließen, dass sich die Wirtschaft stärker als erhofft abkühlt, bis hin zu einer spürbaren Rezession. Eine solche Entwicklung (die allerdings nicht unser Basisszenario darstellt) ist in den Marktkursen derzeit nicht reflektiert und dürfte deutliche Abschläge bei den Aktienindizes nach sich ziehen. Andererseits gibt es Anzeichen dafür, dass sich die Inflationsdynamik in der Tat abschwächt, wenn auch nicht so schnell wie gewünscht. Sollte sich also abzeichnen, dass keine zusätzlichen Zinserhöhungen, über das aktuell erwartete Maß hinaus, notwendig sind, und sich die Wirtschaft gleichzeitig als stabil und resilient erweisen, so wäre dies eine gute Basis für die Entwicklung der Aktienmärkte im kommenden Jahr. 

Im Portfoliomanagement-Kontext gilt es grundsätzlich zwei Fragen gegeneinander abzuwägen: die Renditechancen von Aktien im Vergleich zu Anleihen einerseits und das Risiko von deutlichen Kursabschlägen andererseits. Nach dem außergewöhnlichen Jahr 2022, das insbesondere massive Kursverluste bei Anleihen mit sich brachte weisen länger laufende Staatsanleihen wieder vernünftige Renditen aus. So liegen die Renditen von 10-Jährigen deutschen Bundesanleihen derzeit bei etwa 2,5 % und die von 10-jährigen US-Treasury-Anleihen bei 3,75 % (siehe Tabelle). Die Renditen kürzer laufender Staatsanleihen sind sogar noch etwas höher. Darüber hinaus erscheint das Risiko weiterer massiver Kursverluste solcher Staatsanleihen angesichts der Tatsache, dass die Zentralbanken nahe dem Höhepunkt des Zinsanhebungszyklus sein dürften, eher begrenzt. Sollten die Zinsen in den kommenden Quartalen wieder sinken (wir rechnen mit spürbaren Zinssenkungen allerdings noch nicht in diesem Jahr), wären neben den Zinseinkünften bei Anleihen auch mit Kursgewinnen zu rechnen. Das daraus erwachsende Performancepotenzial muss gegenüber dem Rendite- und Risikopotenzial von Aktien abgewogen werden. Im langfristigen Durchschnitt dürften Investments in breit diversifizierte Aktienportfolios eine höhere Performance aufweisen als Anleihe-Investments, dafür ist das Kurschwankungsrisiko von Aktien aber auch deutlich höher als das von Anleihen. Aufgrund der im letzten Jahr deutlich gestiegenen Renditen ist der erwartete Renditeunterschied zwischen Aktien und Anleihen aktuell deutlich geringer als vor der Inflationskrise, als ein Renditeumfeld mit teilweise negativen Renditen vorherrschte. Zumal das Risiko einer wirtschaftlichen Abkühlung aufgrund der deutlich gestiegenen Finanzierungskosten für Unternehmen und Privat- wie Staatshaushalte deutlich gestiegen ist. Wie bereits erwähnt, könnte eine solche Abkühlung zu Kursverlusten bei Aktien und zu Kursanstiegen bei Anleihen führen. 

Unserer Einschätzung nach ist im aktuellen wirtschaftlichen Umfeld eine neutrale Gewichtung von Aktien und Anleihen (also eine Gewichtung nahe dem angestrebten langfristigen Durchschnitt beider Anlageklassen) sinnvoll. Sollte sich bezüglich der Inflationsdynamik ein sogenanntes „Soft Landing“-Szenario einstellen (also eine Abkühlung der Inflationsdynamik hin zu den angestrebten Zielmarken der Zentralbanken, ohne dass die dafür notwendigen Zinserhöhungen die Wirtschaft in eine Rezession stürzen), wäre eine Anhebung der Aktienquote auf ein Übergewicht im Vergleich zu Anleihen durchaus überlegenswert. Eine solche Situation könnte sich perspektivisch Richtung Ende des Jahres einstellen. Kurzfristig allerdings könnten potenzielle weitere deutliche Kursanstiege bei Aktien trotz anhaltender Inflation Opportunitäten für eine taktische Reduzierung der Aktienquote zu Gunsten von Anleihen bieten. Wir behalten dabei die Inflationsdynamik, das weitere Vorgehen der Zentralbanken und das wirtschaftliche Umfeld fest im Auge. Mittel- bis langfristig erscheint eine höhere Aktienquote als derzeit implementiert grundsätzlich sinnvoll.

 

 

Manuela D’Onofrio, Head of Group Investment Strategy
Philip Giskdakis, Chief Investment Officer Germany, UniCredit Bank AG (HypoVereinsbank)
Alessandro Caviglia, Chief Investment Officer Italy, UniCredit SpA
Oliver Prinz, Co-Chief Investment Officer of UniCredit Bank Austria AG and Schoellerbank AG

Zu den „Glorreichen Sieben“ zählen Apple, Microsoft, Nvidia, Amazon, Meta, Tesla und Alphabet.