Wirtschaft & Märkte

US-Wirtschaft: Rezessionsrisiko für 2023 steigt – gelingt die weiche Landung?

Über die letzten beiden Monate haben sich die Wirtschaftsdaten in den USA und dem Euroraum weiter verschlechtert. Der Citigroup Economic Surprise Index6 zeigte zuletzt im Juni an, dass sich die entsprechenden Indikatoren in beiden Regionen schlechter entwickelt haben als von Analysten erwartet (siehe Grafik 4). Dabei mehren sich vor allem in den USA die Anzeichen einer Abschwächung der Wirtschaftsaktivität: So lässt der Aufbau der Beschäftigung (trotz zuletzt guter Juni-Zahlen) im Zeitverlauf weiter nach, das Lohnwachstum geht zurück, und auch die Lieferkettenengpässe lösen sich weiter auf. Nach wie vor hohe Rohstoffpreise sowie anhaltend hohe Inflationserwartungen der privaten Haushalte wirken zunehmend belastend.

STRAFFERE GELDPOLITIK UND FINANZIELLE BEDINGUNGEN LASTEN AUF US-WACHSTUM

Aufgrund der anhaltend hohen Inflationsraten hat die US-Notenbank ihre anvisierten Zinserhöhungen deutlich nach vorne gezogen. Dadurch haben auch die marktbasierten Erwartungen für künftige Zinserhöhungen erheblich zugelegt (siehe Grafik 5). So sind die Leitzinserwartungen, gemessen anhand der Fed Fund Futures-Sätze7, innerhalb der letzten zwölf Monate in der Spitze um mehr als 300Bp angestiegen, wenngleich die Erwartungen auf höhere Leitzinsen zuletzt wieder zurückgenommen wurden. Die Finanzmärkte preisen nun aber aktuell, im Vergleich zum Zeitpunkt vor drei Monaten, erste Zinssenkungen im nächsten Jahr ein. Letztere werden hauptsächlich durch die aufgekommenen Rezessionsängste für das Jahr 2023 getrieben, die die Inflationssorgen auf Seiten der Anleger in den Hintergrund haben rücken lassen.

Die bisherige Straffung der US-Geldpolitik sowie der Ausblick auf mögliche weitere Zinsanhebungsschritte zeigen bereits Wirkung in einigen Sektoren, vor allem auf dem US-Immobilienmarkt. Entsprechend haben beispielsweise im ersten Halbjahr dieses Jahres die US-Hypothekenzinsen für 15- und 30-jährige festverzinsliche Hypothekarkredite deutlich angezogen (siehe Grafik 6). Während die 15-jährigen Zinssätze aktuell knapp unter 5% stehen, liegen die 30-jährigen Zinsen mit 5,7% bereits über dieser Marke. Im gleichen Zeitraum gingen die Baugenehmigungen spürbar zurück, und es dürfte wohl nur noch eine Frage der Zeit sein, bis auch sie sich deutlicher reduzieren.

Neben der Abschwächung am US-Immobilienmarkt sowie der nachlassenden konjunkturellen Dynamik in der US-Wirtschaft haben sich auch die finanziellen Bedingungen weiter eingetrübt (siehe Grafik 7). Der nationale Index zu den finanziellen Bedingungen8 (National Financial Conditions Index, NFCI), der von der regionalen Notenbank von Chicago veröffentlicht wird, hat im Juni aus dem Bereich der lockeren finanziellen Bedingungen in den Straffungsbereich gedreht. Wir erwarten, dass auch die restriktiveren finanziellen Bedingungen, die den Transmissionskanal einer strafferen Geldpolitik darstellen, das US-Wachstum in den kommenden Monaten belasten werden.

RISIKO STEIGT, ABER KEINE REZESSION IN NAHER ZUKUNFT ZU ERWARTEN

Neben den abschwächenden Tendenzen sind aber auch stützende Faktoren zu beobachten. Positive Signale kamen zuletzt vom US-Arbeitsmarkt, der sich weiterhin in einer soliden Verfassung zeigt, auch wenn die Beschäftigungsdynamik nachlässt. Demnach wurden im Juni 372.000 neue Stellen geschaffen und damit rund 100.000 mehr als erwartet, wenngleich die beiden Monate zuvor um etwa 70.000 Stellen nach unten korrigiert wurden. Insgesamt aber ein immer noch recht solider Zuwachs, der die Stärke des US-Arbeitsmarkts untermauert und unserer Ansicht nach die Wahrscheinlichkeit einer 75Bp-Anhebung der Fed auf ihrer kommenden Sitzung im Juli deutlich erhöht hat. Einen weiteren positiven Faktor sollten die US-Verbraucher liefern, der trotz einer Verschlechterung des Verbraucherstimmung und einer geringeren Sparquote von um die 5% immer noch auf einen massiven Ersparnisüberschuss infolge der Corona-Pandemie (seit März 2020) von etwa 2,5 Billionen US-Dollar zurückgreifen kann. Dies sollte den Konsum und damit das Wachstum in der zweiten Hälfte dieses Jahres stützen.

Betrachtet man ausschließlich makroökonomische Indikatoren und unterstellt eine weitere zyklische Abschwächung der Konjunktur über die nächsten Quartale, so weisen diese Indikatoren aktuell und auch in den nächsten zwölf Monaten kein erhöhtes Rezessionsrisiko aus (siehe Grafik 8). Viele Makro-Indikatoren haben sich über die letzten Monate bereits abgeschwächt und dürften dies auch im Laufe des Jahres weiterhin tun. Neben Umfragedaten, wie dem ISM für die Industrie und dem Konsumentenvertrauen, haben auch „harte“ Daten wie die Beschäftigung und die Baugenehmigungen an Dynamik eingebüßt. Dennoch ist die Abschwächung nicht ausreichend groß, als dass unser Rezessionsindikator9 signifikantere Ausschläge einer höheren Rezessionswahrscheinlichkeit ausweisen würde.

Die Rezessionswahrscheinlichkeit lässt sich aber auch anhand von Finanzmarktvariablen abschätzen. Verwendet man etwa die Zinsstruktur der US-Staatsanleihen als Indikator, so zeigt sich in einem unserer alternativen Rezessionsmodelle10 durchaus ein erhöhtes Risiko einer US-Rezession von rund 20% im Jahr 2023 (siehe Grafik 9). Dabei unterstellt das Modell, dass eine Abflachung bzw. Inversion der Zinsstruktur (d.h. kurzfristige Renditen von Staatsanleihen übersteigen die langfristigen) ein valides Signal für anstehende Rezession ist. Hintergrund dafür sind die Annahmen der Marktteilnehmer, die infolge einer wirtschaftlichen Abkühlung langlaufende Staatsanleihen stärker nachfragen, da sie kurzfristige konjunkturelle Risiken höher einschätzen als langfristige – mit der Folge, dass die Renditen am langen Ende der Kurve sinken. Dennoch bleibt zu erwähnen, dass die aus der Zinsstruktur abgeleiteten Rezessionssignale über die letzten Jahre eine höhere Volatilität bei den Risikoausschlägen und damit mehrere Fehlsignale aufgewiesen haben. Dies dürfte größtenteils auf die ultra-lockere Geldpolitik der Notenbanken seit der Finanzkrise zurückzuführen sein. Nichtsdestotrotz können die aus Zinsstruktur-Modellen abgeleiteten Rezessionswahrscheinlichkeiten das wirtschaftliche Bild in den USA sinnvoll ergänzen. Unabhängig von unseren eigenen Untersuchungen wird die US-Rezessionswahrscheinlichkeit von Marktanalysten momentan auf knapp über 30% beziffert.

FAKTOREN, DIE DAS REZESSIONSRISIKO ERHÖHEN BZW. SENKEN

Aktuell sehen wir zwei Faktoren, die das Risiko einer Rezession in 2023 ansteigen lassen könnten. Der erste Faktor bezieht sich auf den von der US-Notenbank eingeschlagenen Kurs einer deutlicheren Straffung der Geldpolitik mit Anhebung der Leitzinsen weiter in den restriktiven Bereich (d.h. weiter über die neutrale Zinsrate11 von 2,5% hinaus). Ein Teil davon dürfte bereits in der Zinsstrukturkurve berücksichtigt sein, wenn auch nicht alles. Diese Straffung könnte dazu führen, dass die Abschwächung der wirtschaftlichen Aktivität, die bereits jetzt schon aufgrund der sehr „hawkishen“ Ausrichtung der US-Notenbank zu beobachten ist, zusätzlich beschleunigt wird. Dadurch würde dann auch das Risiko einer zunehmend stärkeren Abschwächung der US-Wirtschaft bis hin zu einer Kontraktion im nächsten Jahr ansteigen.

Der zweite Faktor betrifft die Grundhaltung der US-Notenbank, den Fokus primär auf die Inflationsbekämpfung zu legen. Der US-Notenbankchef Powell hatte zwar auf seiner Pressekonferenz im Juni ausdrücklich erklärt, dass die Fed nicht vorhabe, eine Rezession bewusst herbeizuführen, dass aber eine „weiche Landung“ schwierig zu erreichen sei. Mit ihrem Fokus auf eine Inflationsbekämpfung um jeden Preis hat die Fed die Messlatte für eine Verlangsamung des geldpolitischen Straffungstempos aber sehr hoch gelegt. Das heißt im Umkehrschluss, dass eine „harte“ Landung wahrscheinlicher geworden ist. Die US-Notenbank könnte sich letztendlich gezwungen sehen, mit Nachdruck auf die hohe Gesamtinflation zu reagieren, insbesondere dann, wenn die Energiepreise weiter ansteigen sollten.

Ein wesentlicher Faktor, der die beiden Faktoren und damit die Rezessionswahrscheinlichkeit über die kommenden Quartale dagegen dämpfen dürfte, ist die sich vermutlich weiter abschwächende konjunkturelle Dynamik, die wiederum zu einem Nachlassen der Inflationsdynamik führen sollte. Wir glauben, dass die US-Notenbank im ersten Halbjahr 2023 eine Pause bei ihrem Straffungszyklus einlegen, sobald die Gipfelbildung bei den Inflationsraten überschritten ist und die Inflation deutlich niedrigere Wachstumsraten im Jahresvergleich ausweist (allein schon aufgrund des Wegfalls der hohen Basiseffekte im nächsten Jahr). Dafür spricht auch, dass die aktuell hohen Inflationserwartungen nicht annährend so fest verankert zu sein scheinen, wie sie das in den 1980er Jahren waren, als die beiden Ölpreis-Schocks eine Lohn-Preis-Spirale über einen längeren Zeitraum in Gang setzten. Bei nachlassenden Inflationserwartungen der privaten Haushalte, einer sich weiter abschwächenden Dynamik am Arbeitsmarkt und damit einhergehendem abnehmendem Lohnwachstum kann eine „weiche“ Landung immer noch gelingen.

FAZIT

Eine straffere Geldpolitik und sich verschärfende finanzielle Bedingungen werden die sich bereits abschwächende konjunkturelle Dynamik der US-Wirtschaft weiter verstärken. Das Risiko einer Rezession in den USA in diesem Jahr sehen wir nicht, dagegen hat sich das Risiko aber für 2023 erhöht. Vor allem die Gefahr, dass die US-Notenbank aufgrund ihres strengen Fokus auf Inflationsbekämpfung die US-Wirtschaft durch eine zu straffe Geldpolitik weiter belastet, könnte die Rezessionswahrscheinlichkeit im kommenden Jahr weiter ansteigen lassen. Am Ende wird es daher die US-Notenbank selbst in der Hand haben, ob aus der angestrebten weichen eine holprige oder gar harte Landung wird.

6 Der Citigroup Economic Surprise Index ist ein Indikator der Citigroup, der anzeigt inwiefern die tatsächliche wirtschaftliche Entwicklung (gemessen über veröffentlichte Indikatoren) mit den allgemeinen Prognosen (für diese Indikatoren) übereinstimmt. Liegt der Indikator im positiven Bereich, war die tatsächliche Entwicklung besser als die Prognosen. Liegt er dagegen im negativen Bereich, dann wurden die Prognosen nicht erfüllt.

7 Die Fed Funds Futures sind Finanzkontrakte, die die Erwartungen der Marktteilnehmer darüber widerspiegeln, wo die tägliche offizielle Fed Funds Rate zum Zeitpunkt des Vertragsablaufs liegen wird. Dabei ist die Fed Funds Rate der Zinssatz, den sich US-amerikanische Geschäftbanken gegenseitig für Eintages-Kredite in Rechnung stellen (Interbank Overnight Lending Rate). Dieser Zinssatz wird somit durch den Markt und nicht explizit durch die US-Notenbank bestimmt. Durch Liquiditätanpassungen versucht die US-Notenbank jedoch, die Fed Funds Rate in Richtung ihres geldpolitischen Zielzinssatzes zu steuern.

8Der NFCI misst die finanziellen Bedingungen in den USA: Positive Werte werden mit überdurchschnittlich straffen finanziellen Bedingungen assoziiert, während negative Werte überdurchschnittlich lockere finanzielle Bedingungen darstellen. Der Index berücksichtigt die Bedingungen auf den Geldmärkten, den Anleihe- und Aktienmärkten sowie dem traditionellen und dem “Schatten”-Bankensystem.

9Unser Rezessionsindikator versucht mit Hilfe von vier Makro-Indikatoren, die Wahrscheinlichkeit einer Rezession in den USA vorherzusagen. Die Indikatoren umfassen den ISM für die Industrie, das Konsumentenvertrauen des Conference Boards, sowie die Beschäftigung und Baugenehmigungen. Die Prognose über die nächsten zwölf Monate erfolgt anhand von Vorausschreibungen der einzelnen Makro-Indikatoren über diesen Zeitraum. Höhere prozentuale Werte deuten dann auf ein erhöhtes Risiko einer Rezession hin.

10Wir verwenden ein Rezessionsmodell, in dem ausschließlich die Zinsstruktur verwendet wird. Dabei wird auf die Renditedifferenz zwischen den 2- und 10-jährigen sowie die Differenz zwischen den 3-monatigen und den 10-jährigen US-Staatsanleiherenditen zurückgegriffen. Die Prognose über die nächsten 12 Monate erfolgt anhand von Vorausschreibungen der einzelnen Zinssätze über diesen Zeitraum.

11Der neutrale Zins beschreibt den gleichgewichtigen Zinssatz einer Volkswirtschaft, bei dem die wirtschaftliche Aktivität weder gebremst noch beschleunigt wird. Zinsraten über (unter) den neutralen Zins befinden sich daher in restriktiven (expansiven) Bereich.