Im Dialog

Unsere lokalen Chief Investment Officer (CIOs) im Austausch mit unseren Kunden

Alessandro Caviglia
CIO Italy, UniCredit SpA
(Italien)

Italien

WAS PASSIERT MIT DEM ÖLPREIS?

Die Preise der Terminkontrakte auf Brent (das in Europa in der Nordsee geförderte Öl) und auf WTI (West Texas Intermediate, das im Süden der USA gefördert wird) verzeichneten von Mitte Juni bis Mitte Juli eine Korrektur von rund 20USD pro Barrel. Die aktuellen Niveaus sind im historischen Vergleich nach wie vor hoch, aber der Preisrückgang war erheblich und kam sehr plötzlich.

Die Hauptgründe für diese Abwärtsbewegung bei den Terminkontrakten sind Befürchtungen hinsichtlich der Preisdynamik in den kommenden Monaten und insbesondere die derzeitige Konjunkturabschwächung, vor allem in Europa, sowie die Aushöhlung der Kaufkraft der privaten Haushalte durch die Inflation, die inzwischen ein weltweites Phänomen ist (und auch durch den Anstieg der Energierohstoffpreise ausgelöst wird). Dies alles sind Faktoren, die sich auch in Zukunft negativ auf den Verbrauch auswirken können.

Andererseits hatten die fortgesetzten Erhöhungen der kurzfristigen Zinssätze durch die US-Notenbank Auswirkungen auf die spekulativen Finanzströme, die teilweise dazu beigetragen hatten, die Aufwärtsbewegung bei den Rohstoffen in der ersten Jahreshälfte zu verstärken. Aufgrund der positiven (Abwärts-)Korrelation zwischen Anleihen und Aktien hatten viele Anleger weltweit ihr Engagement in Rohstoffen erhöht, die das einzige Element der Portfoliodiversifizierung darstellten und eine Aufwärtsbewegung auslösten. Durch das koordinierte Handeln auf globaler Ebene waren die Ströme bedeutsam. Dieser Push-Faktor könnte nun auslaufen, denn angesichts der erreichten Niveaus der langfristigen Nominalzinsen in den USA und Europa beginnt die Korrelation zwischen Aktien und Anleihen negativ zu werden – und hochwertige Anleihen können anstelle von Rohstoffen zur Stabilisierung der Portfolios eingesetzt werden.

Wie wir wissen, ist der Preis das Ergebnis von Nachfrage und Angebot, und insbesondere letzteres weist starke Unelastizitäten und Unwägbarkeiten aus. Schätzungen für die weltweite Ölproduktion im Jahr 2023 liegen bei 101 Millionen Barrel pro Tag (jedes Barrel enthält etwa 159 Liter Öl). Die drei wichtigsten Ölproduzenten der Welt sind die USA, Saudi-Arabien und Russland. Die USA sind faktisch energieautark, und die beiden letztgenannten sind die Hauptexporteure. Die Sanktionen des Westens und das Einfuhrverbot für russisches Öl (das im namensgebenden Ural gefördert wird und weniger wertvoll ist als Brent und WTI, und heute mit einem Abschlag von etwa 30 USD pro Barrel verkauft wird) verringern das Angebot.

Russland exportiert rund fünf Millionen Barrel Öl pro Tag in die ganze Welt, davon allein rund drei Millionen Barrel pro Tag nach Europa. Wenn das zum Jahresende geltende Versicherungsverbot für Öltanker, die russisches Öl weltweit transportieren, auch noch eingeführt wird, könnten diese Mengen fast vollständig vom Weltmarkt verschwinden. Die Alternative wäre die Einführung eines Höchstpreises für russisches Öl (die durchschnittlichen Förderkosten für russisches Öl liegen bei etwa 30USD, während Russland bei 70USD ein finanzielles Gleichgewicht erreicht). Diese Maßnahme scheint jedoch weltweit nur schwer umsetzbar zu sein – insbesondere angesichts der engen Wirtschaftsbeziehungen, die Russland mit vielen asiatischen Ländern unterhält. Die Einführung eines Höchstpreises für russisches Erdgas ist dagegen eher möglich: Sollte Russland sein Gas nicht zu einem bestimmten Preis in Europa verkaufen wollen, hätte das Land keine alternativen Absatzkanäle, da das Gas durch Pipelines und Russland transportiert wird.

In der Zwischenzeit verfügt Saudi-Arabien über eine ungenutzte Kapazität von rund zwei Millionen Barrel pro Tag. Eine Steigerung der saudischen Produktion könnte also den Mangel an russischer Produktion zumindest teilweise ausgleichen. Dies war unlängst eines der Ziele der Mission von US-Präsident Joe Biden im Nahen Osten.

Wir müssen darüber hinaus aber auch Faktoren in den Blick nehmen, die die strukturelle Nachfrage nach Öl verringern könnten. Jüngste Umfragen zeigen, dass 40% der US-Verbraucher in den nächsten fünf Jahren ein Elektroauto kaufen wollen. Im Jahr 2018 lag dieser Prozentsatz noch bei 15%. Heute entfallen 60% der weltweiten Ölnachfrage auf den Verkehrssektor, so dass die Energiewende eine wichtige Rolle für das künftige Preisniveau spielen wird. Auch bei den Industriemetallen ist eine Korrektur zu beobachten. Einige dieser Metalle wie Nickel und Kupfer sind für den Bau von Elektromotoren unerlässlich. Sollten sich diese Preise weiter so entwickeln, könnten Elektroautos zu niedrigeren Preisen gebaut werden, wodurch die Nachfrage nach Öl sinken würde.

Zusammenfassend lässt sich sagen, dass die gegenwärtige und zukünftige Dynamik, die den Ölpreis beeinflussen wird, vielfältig und äußerst komplex ist. Die Volatilität, die sich aus Direktinvestitionen in Energierohstoffe ergibt, wird sicherlich sehr hoch bleiben und innerhalb eines Portfolios von Finanzanlagen schwer zu steuern sein. Wir ziehen es daher vor, die Auswirkungen dieser Variablen auf makroökonomische Szenarien und im Rahmen unserer Prozesse der Allokation und Auswahl von Unternehmen und Sektoren zu berücksichtigen, anstatt Energierohstoffe als eigenständige Anlageklasse zu betrachten.

Oliver Prinz
Co-CIO Bank Austria and Schoellerbank
(Österreich)

Österreich

COVID: WIE REAGIEREN DIE MÄRKTE?

Etwa zwei Jahre lang war „COVID“ das beherrschende Thema sowohl in unser aller Leben als auch auf den Finanzmärkten. Im Laufe der ersten Jahreshälfte 2022 hielten die Menschen rund um den Globus jedoch ganz andere Entwicklungen in Atem: die verheerenden Entwicklungen im Konflikt zwischen Russland und der Ukraine, und die steigenden Lebenshaltungskosten und Inflationsraten. Die niedrige Anzahl an COVID-Neuinfektionen und die relativ geringen Hospitalisierungsraten haben gleichwohl dazu beigetragen, ein Stück Normalität zurückzubekommen. Die Risiken der Pandemie scheinen Investoren derzeit in keinster Weise zu verunsichern oder in ihren Entscheidungen zu beeinflussen. Freuen wir uns alle zu früh?

Für eine Beurteilung sind zwei Betrachtungswinkel relevant. In Bezug auf die epidemiologische Sicht gibt es Experten abseits der Finanzmärkte, die ihre Einschätzungen treffen und Schlüsse aus den Entwicklungen ziehen. Die jüngsten Anstiege der Infektionszahlen in vielen Ländern, Verschiebungen von Flügen und Chaos an vielen Flughäfen infolge von Personalmangel bei Bodendienstleistern, Sicherheitsfirmen und Airlines – verstärkt durch zahlreiche an COVID erkrankte Mitarbeiter – lassen jedoch erahnen, dass wir die Pandemie noch nicht für beendet erklären können. Aus der wirtschaftlichen Brille betrachtet sehen wir jedoch ein günstigeres Bild als zu Beginn der Pandemie im März 2020:

  • Investoren haben gelernt, über den kurzfristigeren Belastungsfaktor für die Wirtschaftsentwicklung großteils hinwegzuschauen. Auf den Abschwung um März 2020 folgte eine Gegenbewegung, die bis heute anhält, obwohl immer wieder weitere Wellen des Virus auf uns trafen. Auf eine negative wirtschaftliche Entwicklung in der Eurozone von -6,4% im Jahr 2020 folgte 2021 ein Plus von 5,4%. In den USA stellte sich der Aufschwung noch stärker dar. Nach einem Rückgang der Wirtschaftsleistung von -3,4% im Jahr 2020 konnte letztere im vergangenen Jahr um +5,7% gesteigert werden und lag bereits zum Jahreswechsel wieder über dem Vorkrisenniveau.
  • Der Umstand, dass die negativen Auswirkungen auf die Wirtschaft in kurzer Zeit wieder kompensiert, beziehungsweise übertroffen werden konnten, haben auch Investoren mit Freude zur Kenntnis genommen. Im Januar dieses Jahres, also noch vor der Eskalation des Russland-Ukraine Konflikts, lagen viele Aktienindizes deutlich über dem Stand vor dem Ausbruch der Pandemie.
  • Politiker und Experten haben durch das Austesten unterschiedlichster Maßnahmen einen besseren Überblick, welche Restriktionen und finanzielle Unterstützungen besser wirken und welche schlechter. Es ist daher davon auszugehen, dass zukünftige Entscheidungen mit höchster Rücksicht auf wirtschaftliche Interessen getroffen werden, um das Wachstum so gering wie möglich in Mitleidenschaft zu ziehen. Lockdowns dürften dabei das letzte Mittel einer langen Kette von möglichen Maßnahmen und somit die Ultima ratio sein.
  • Wo es möglich ist, haben Unternehmen auf die Möglichkeit von Home-Office umgestellt, beziehungsweise arbeiten viele Mitarbeiter teilweise noch immer zuhause. Die entsprechende IT-Infrastruktur wurde geschaffen. Prozesse haben sich eingespielt, und dadurch sind keine größeren Investitionen von Nöten, um wieder verstärkt auf diese Form des Arbeitens umzuschwenken. Betriebsabläufe sollten daher in vielen wirtschaftlichen Bereichen nur gering in Mitleidenschaft gezogen werden.

Isoliert betrachtet sollte sich das Risiko daher geringer darstellen als zu Beginn der Pandemie. Ein großes Risiko in diesem Zusammenhang stellt China dar, da die Null-Covid-Politik des Landes die stärksten Effekte auf Wirtschaft und globale Lieferketten hat. Kurskorrekturen auf den Aktienmärkten sollten daher nicht ausgeschlossen werden. Anleger haben jedoch eine bessere Kenntnis über mögliche Implikationen der Pandemie und sind dadurch besser vorbereitet als noch vor zwei Jahren. Einzelne Branchen wären wahrscheinlich stärker betroffen – vor allem jene, in denen mehr zwischenmenschlicher Kontakt besteht. Aus diesen Gründen sollte in Bezug auf Anlagen in Aktien eine breite Diversifikation über Sektoren, Branchen und Regionen vorgenommen werden.

Philip Gisdakis
CIO UniCredit Bank GmbH
(HypoVereinsbank, Deutschland)

Deutschland

EUROPÄISCHES PARLAMENT WINKT EU-TAXONOMIE DURCH – EIN FALSCHES SIGNAL?

In der EU sollen Investitionen in Gas- und Atomkraft künftig unter bestimmten Umständen13 als nachhaltig und klimafreundlich eingestuft werden können. Das Europäische Parlament winkte die entsprechenden Pläne der EU-Kommission aus dem vergangenen Jahr am 6. Juli durch, nachdem sich die Mitglieder des Umwelt- und des Wirtschaftsausschusses Mitte Juni noch mehrheitlich dagegen ausgesprochen hatten. Statt der erforderlichen 353 Abgeordneten in Straßburg stimmten nur 278 gegen den Rechtsakt zur sogenannten EU-Taxonomie. Frankreich, das auf die Kernkraft als Schlüsseltechnologie für eine CO2-freie Wirtschaft setzt und sie auch weiterhin in andere Länder exportieren will, war dabei die treibende Kraft. Deutschland setzte sich im Gegenzug für ein grünes Label für Gas als Übergangstechnologie ein. Am 11. Juli lief um Mitternacht die letzte Frist für die EU-Länder ab, um das umstrittene Vorhaben noch zu stoppen. Der sogenannte Rechtsakt zur EU-Taxonomie tritt damit am 1. Januar 2023 in Kraft.

Letztere ist eine Art Gütesiegel für private Investitionen, mit dem klar gekennzeichnet werden soll, welche Energieprojekte grün und nachhaltig sind und welche nicht. Sie soll für Anleger und Investoren, die nachhaltig anlegen wollen, mehr Transparenz schaffen und ihre Anlagen in nachhaltige Wirtschaftstätigkeiten lenken, um so den Kampf gegen den Klimawandel zu unterstützen. Die EU-Taxonomie ist für Unternehmen von großer Relevanz, weil sie die Investitionsentscheidungen von Investoren beeinflussen und sich so beispielsweise auf die Finanzierungskosten von Projekten auswirken kann.

An den Plänen der EU-Kommission hatten besonders Umweltschutzorganisationen aus ganz Europa Kritik geäußert. Ihr Urteil zur Entscheidung des europäischen Parlaments fiel entsprechend einhellig aus. „Ein fatales Signal“, hieß es vom NABU, „ein schwarzer Tag für den Klimaschutz und für die Demokratie in Europa“, vom BUND. Greenwashing sei „nun offiziell per Gesetz für gültig erklärt“ worden, lautete eine Einschätzung des Thinktanks E3G. Bevor Gas- und Atomkraft tatsächlich ein Nachhaltigkeitslabel erhalten, müssen allerdings noch rechtliche Schritte abgewartet werden. Österreich erklärte nach der Abstimmung des Europäischen Parlaments umgehend, es werde die EU wegen der umstrittenen Entscheidung verklagen. Luxemburg kündigte an, den österreichischen Vorstoß zu unterstützen. Auch Spanien und Dänemark erwägen, sich der Klage anzuschließen.

Mit Blick auf den Markt für nachhaltige Anleihen dürfte die Aufnahme von Gas- und Atomaktivitäten die Emission entsprechender nachhaltiger Anleihen, etwa grüne Anleihen für französische Kernenergie, nach sich ziehen, obgleich der Versorgungssektor bereits stark auf dieses Instrument zur Finanzierung des Übergangs zu erneuerbaren Energien setzt. Allerdings bleibt abzuwarten, ob Investoren solche Anleihen zur Finanzierung von Gas- und/oder Kernenergieprojekten als nachhaltig akzeptieren werden. Aussagen von Investorengruppen deuten darauf hin, dass Teile der Finanzindustrie die neuen Nachhaltigkeitslabels möglicherweise sogar boykottieren könnten, um nicht zu riskieren, sich dem Vorwurf des „Greenwashing”14 auszusetzen. In jedem Fall können Anleger – unabhängig von der jüngsten Entscheidung zur Umsetzung der EU-Taxonomie – auch künftig selbst entscheiden, wie Taxonomie-konform bzw. nachhaltig sie ihr Geld anlegen möchten und welche Ausschlusskriterien dabei zur Anwendung kommen sollen.

13 Investitionen in neue Gaskraftwerke sollen bis 2030 als nachhaltig gelten, sofern sie schmutzigere Kraftwerke ersetzen und bis 2035 komplett mit klimafreundlicheren Gasen betrieben werden, etwa Wasserstoff. Neue Atomkraftwerke sollen bis 2045 als nachhaltig klassifiziert werden, wenn die ungeklärte Frage nach sicheren Endlagern bis spätestens 2050 geklärt ist.

14Greenwashing (auf Deutsch „Grünwaschen“ oder „Grünfärben“) bezeichnet den Versuch von Organisationen, durch Kommunikation, Marketing und Einzelmaßnahmen ein „grünes Image“ zu erlangen, ohne entsprechende Maßnahmen im operativen Geschäft systematisch verankert zu haben. Bezog sich der Begriff ursprünglich auf eine suggerierte Umweltfreundlichkeit, findet dieser mittlerweile auch für suggerierte Unternehmensverantwortung Verwendung.