CIO Kommentar

Am Scheideweg

Manuela D‘Onofrio
Head of Group
Investment Strategy

Der Jahresauftakt gestaltete sich äußerst volatil. Gleichzeitig reflektiert die Performance unterschiedlicher Segmente bereits die wesentlichen Treiber und Risikofaktoren in diesem Jahr. Nach der starken Entwicklung in 2021 zeigten sich die Aktienmärkte bislang recht schwach. Die weltweiten Aktienmärkte lagen Ende Januar 5% im Minus. Die Schwellenländer konnten sich davon nicht wirklich abkoppeln; sie gaben etwa 2% nach. Diese Aktienperformance materialisierte sich vor dem Hintergrund steigender Langfristzinsen.

Innerhalb der globalen Aktienmärkte gab es deutliche regionale und sektorale Unterschiede. So gaben amerikanische Aktien im Januar etwa 5% nach, während europäische Aktien nur die Hälfte verlor. Unterteilt man die Aktienmärkte in die zwei Segmente „Growth“ (Wachstumswerte) und „Value“ (Substanzwerte), so ergibt sich noch eine weitere Differenzierung. Die Wachstumswerte gaben im Januar sowohl in Europa als auch den USA um 9% nach. Die Risikofaktoren für dieses Segment (allen voran steigende Renditen) wirkten sich also in den USA und in Europa gleichermaßen aus. Bei den Substanzwerten zeigten sich indes große Unterschiede. In Europa konnten sie um 2,6% zulegen, während sie in den USA um 2,6% abrutschten. Substanzwerte machen also den Unterschied aus.

Dr. Philip Gisdakis
Chefanlagestratege (Chief Investment Officer - CIO) der HypoVereinsbank

Das passt zu der zugrundeliegenden wirtschaftlichen Entwicklung. Die Erholung nach dem Corona-Schock schreitet trotz des Durchhängers zum Jahreswechsel voran. Dies führt einerseits zu wohl länger anhaltenden hohen Inflationsraten, denen die Zentralbanken mit einer baldigen Straffung ihrer Geldpolitik begegnen wollen. Andererseits dürfte das Wirtschaftswachstum 2022 nicht mehr so hoch ausfallen wie noch im Vorjahr, aber immer noch deutlich über dem Vor-Corona-Trendpfad liegen. Diese überdurchschnittliche Wachstumsdynamik sollte noch bis ins kommende Jahr reichen. Davon werden in zunehmendem Maße wohl auch Branchen profitieren, die in der Coronakrise ins Hintertreffen geraten sind. Sie sind aber typischerweise nicht so hoch bewertet und eher dem Substanzwerte-Segment zuzuordnen. Die Rotation von Wachstums- zu Substanzwerten sollte 2022 weitergehen und wird durch die Kombination aus robustem Wirtschaftswachstum und einer Straffung der Geldpolitik begünstigt. Die Straffung der geldpolitischen Rahmenbedingungen erfordert eine  selektive Herangehensweise bei der Auswahl an Aktien.

Es bleiben jedoch Risiken, die Anleger im Auge behalten sollten. Die wichtigsten bleiben aus unserer Sicht Corona, die hartnäckige Inflation und geopolitische Risiken. Die Omikron-Welle belastet nach wie vor Wirtschaft und Gesellschaft rund um den Globus. Jenseits der kurzen Frist aber gibt es berechtigte Hoffnung auf Entspannung, weil die fortschreitende Immunisierung – sei es durch Impfung oder Ansteckung – die Gesundheitssysteme bzw. die kritische Infrastruktur immer weniger gefährdet. Kontakt- und Mobilitätseinschränkungen dürften zurückgefahren werden und bald wegfallen. Trotzdem bleiben Restrisiken, etwa das Aufkommen von Mutanten, die den erworbenen Immunschutz umgehen. Für den Herbst können weitere Corona-Wellen jedenfalls nicht ausgeschlossen werden. Deren ökonomische Auswirkungen sollten aber begrenzt bleiben und allenfalls für erhöhte Volatilität an den Kapitalmärkten sorgen.

Die hohen Inflationsraten prägen nach wie vor das globale Marktumfeld. Die amerikanische Zentralbank (Federal Reserve) hat deshalb ihre Rhetorik deutlich verschärft. Wir erwarten die erste Zinserhöhung bereits Mitte März. Ihr sollten weitere folgen, sodass das Zinsniveau bis Ende 2023 von derzeit nahe Null auf 2% steigen dürfte. Vor Kurzem hat auch die EZB schärfere Töne angeschlagen und signalisierte nicht nur einen beschleunigten Ausstieg aus der quantitativen Lockerung, sondern auch eine frühere Zinserhöhung als bisher angenommen – möglicherweise schon gegen Ende dieses Jahres.

Zuletzt spielten auch geopolitischen Faktoren, insbesondere der Konflikt zwischen Russland und der Ukraine eine wichtige Rolle an den Märkten. Auch die Spannungen zwischen China und Taiwan sollten nicht unterschätzt werden. Das Risiko-Rendite-Profil dürfte indes stark asymmetrisch ausfallen. Für den Fall, dass sich die geopolitischen Risiken materialisieren, sollte das (temporäre) Rückschlagspotenzial deutlich größer sein als das Gewinnpotenzial für den Fall, dass die Konflikte nicht eskalieren. Derzeit erscheinen aber Entwicklungen, die das Kapitalmarktumfeld nicht stark beeinträchtigen, das wahrscheinlichste Resultat. Eine weitere Eskalation bleibt somit ein Risikoszenario und wird nicht Teil unseres Basisszenarios. Nichtsdestotrotz werden wir diese Entwicklungen genau beobachten.

Insgesamt bleiben wir optimistisch. Der Einfluss der Corona-Pandemie lässt nach, eine weitere Normalisierung des gesellschaftlichen Lebens steht bevor, die europäische Wirtschaft wird spürbar wachsen und der Inflationsdruck sukzessive nachlassen. Gleichzeitig straffen die Notenbanken ihre Geldpolitik – in den USA deutlicher als in Europa. Aber auch hierzulande werden die Renditen steigen. Da dies aber im Rahmen einer fortschreitenden wirtschaftlichen Erholung erfolgt, sollte das die Konjunktur nicht gefährden.