CIO Kommentar

Steiniger Weg zum Wendepunkt

Manuela D‘Onofrio
Head of Group
Investment Strategy

Seit dem Ende des dritten Quartals, das für die Aktienmärkte in Europa und den USA den diesjährigen Performance-Tiefpunkt markierte – die Rentenindizes erreichten ihre jüngsten Tiefpunkte ein paar Wochen später – stellte sich die Performance an den Kapitalmärkten etwas freundlicher dar. Der MSCI Europe legte im vierten Quartal bis zum 24. November rund 14 % zu (in EUR) und der MSCI North America 12 % (in USD). Im selben Zeitraum sank die 10-Jahresrendite in Europa (gemessen am 10J-EUR-Swapsatz1) von fast 3,1 % auf etwa 2,5 %, während die entsprechende 10J-USD-Swaprate in etwa unverändert war.

Das gesamte zweite Halbjahr war an den Kapitalmärkten geprägt vom Inflationsbekämpfungsmodus der großen westlichen Zentralbanken, die die Zinsen in den vergangenen Monaten spürbar angehoben haben und mit großer Wahrscheinlichkeit auch in den kommenden Monaten weiter erhöhen werden. Für die Eurozone erwarten die Märkte, dass die Europäische Zentralbank (EZB) den geldpolitischen Zinssatz auf in der Spitze bis zu 3 % anheben wird, während für die US-amerikanische Federal Reserve (Fed) eine Anhebung des sogenannten Fed Funds Target Rate auf einen Spitzenwert von 5 % erwartet wird. 

Philip Gisdakis
CIO UniCredit Bank GmbH
(HypoVereinsbank, Deutschland)

Diese Zinssätze liegen weit über den jeweiligen sogenannten neutralen Zinssätzen. Für die EZB dürfte letzterer zwischen 1-2 % und für die Fed zwischen 2-3 % liegen. Zinssätze im restriktiven Bereich bremsen die Inflation, aber auch die Wirtschaftsdynamik. Der Kapitalmarkt attestiert der Fed, dass diese Geldpolitik bereits binnen Jahresfrist die Inflationsrate in die Nähe des Inflationsziel von 2 % drücken wird. Für die EZB dürfte das Erreichen des Inflationsziels noch etwas länger dauern. Im kommenden Jahr werden Inflationsraten um die 5 % erwartet, in zwei Jahren dann wieder nahe des Zielwertes von 2 %. In Europa dürfte sich die Inflation hartnäckiger halten, da die Preisdynamik stärker durch die Energiepreise getrieben wird, die sich durch die klassischen Maßnahmen der Zentralbank nicht so leicht kontrollieren lassen. Volkswirte sprechen hier von einer sogenannten Cost-Push-Inflation. In den USA spiegelt die Inflationsentwicklung eher eine starke Nachfrage wieder, angetrieben von einem robusten Arbeitsmarkt mit hohen Lohnsteigerungen – auch Demand-Pull-Inflation genannt.

Ein große Rolle für die EZB dürfte auch der niedrige EUR-USD Wechselkurs spielen. Ein Blick auf die Ölpreisdynamik der letzten Jahre hilft bei der Einordnung. Ölpreise um die 100 US-Dollar pro Barrel oder darüber traten in den letzten Jahren immer wieder auf. Zuletzt, vor der aktuellen Energiekrise, lag der Ölpreis 2014 über 100 US-Dollar. In dieser Zeit war der EUR-USD Wechselkurs deutlich fester. Im Jahr 2014 lag er bei fast 1,40. In der Vergangenheit gingen Phasen mit hohem Ölpreis oftmals mit starkem EUR-USD einher. Dies ist nun anders, auch weil die Energiekrise die europäische Wirtschaft schwächt und den Euro belastet. Wir glauben, dass die EZB eine weitere Abschwächung der Gemeinschaftswährung gegenüber dem US-Dollar aufgrund des Inflationsdrucks nicht zulassen möchte. Das bedeutet aber auch, dass der Unterschied im Zinsniveau zwischen den USA und dem Euroraum nicht zu groß werden sollte. Gleichzeitig befindet sich die europäische Wirtschaft aber derzeit in einer schwächeren Lage als die US-Wirtschaft. Hohe Zinsen sind da nicht hilfreich.

Dieser Zusammenhang erklärt auch, warum die europäischen Märkte zuletzt sehr euphorisch auf erfreuliche Inflationsdaten aus den USA reagiert haben: Die Kerninflationsrate (also ohne die volatilen Komponenten Nahrungsmittel und Energie) ist auf eine monatliche Preissteigerungsgeschwindigkeit von 0,3 % gesunken. Im September betrug dieser Wert noch 0,6 %. Eine Kerninflationsrate von 0,3 % pro Monat entspricht einer annualisierten Inflationsrate von rund 3,6 %, bewegt sich also in Richtung des Zielwertes der Fed von 2 %. Sollte sich das Abflauen der Inflationsdynamik in den USA in den kommenden Monaten tatsächlich bestätigen, nähme dies Druck von der US-Zentralbank, das Zinsniveau noch weiter anzuheben als bisher erwartet. In der Folge würde dies auch auf Seiten der EZB für Entspannung sorgen, den Vorgaben aus den USA zu folgen, um dem Abwertungsdruck auf den Euro entgegenzuwirken. Anders ausgedrückt: Auch die EZB müsste die Zinsen nicht stärker als bisher erwartet anheben, was angesichts der aktuellen wirtschaftlichen Schwäche in Europa durchaus willkommen wäre.

Die Wachstumsrisiken dies- und jenseits des Atlantiks dürften zu einem gewissen Teil auch in den Gewinnerwartungen der Unternehmen reflektiert sein. So wird für europäische Aktienwerte nach dem starken Gewinnwachstum in diesem Jahr, das zunächst getrieben war von verzögerten Aufholeffekten in der Post-Corona-Phase, derzeit ein unverändertes Gewinnniveau für 2023 erwartet. 2024 sollte das Gewinnwachstum dann wieder zulegen. Eine analoge Dynamik wird auch für die USA erwartet. Zwar ist nicht auszuschließen, dass sich eine Seitwärtsentwicklung des Gewinnniveaus im kommenden Jahr als zu optimistisch erweisen könnte. Wenn das Gewinnniveau der Unternehmen aber nicht fundamental belastet wird und sich für 2024 eine Rückkehr zu positivem Gewinnwachstum als Basisannahme bestätigen sollte, wären auch im Fall einer etwas stärkeren als derzeit erwarteten wirtschaftlichen Abkühlung zu Beginn des nächsten Jahres keine substanziellen Rückschläge an den Aktienmärkten zu erwarten. Zumal die derzeitig niedrigen Kurs-Gewinn-Verhältnisse eine gewisse Risikoprämie für eine solche Entwicklung reflektieren.

Nichtsdestotrotz dürften sich die Aktienmärkte im neuen Jahr zunächst eher in einer breiten Seitwärtsbewegung entwickeln. Sollte sich aber im Jahresverlauf die erwartete wirtschaftliche Erholung abzeichnen, dürften auch die Aktienmärkte zulegen. Wann sich eine solche Trendwende einstellt, lässt sich angesichts der Unsicherheitsfaktoren derzeit kaum abschätzen. Während Anlagestrategien für eine volatile Seitwärtsbewegung vor diesem Hintergrund in der ersten Jahreshälfte attraktiv erscheinen, sollten Anleger sich rechtzeitig auf eine mögliche Erholung im Jahresverlauf vorbereiten.

Festverzinsliche Wertpapiere dürften in den kommenden Monaten ebenfalls eine Bodenbildung verzeichnen, vermutlich sogar leicht zulegen, insbesondere auch in den USA. Allerdings durfte sich eine mögliche Erholung, insbesondere im Vergleich zu den Aktienmärkten, in Grenzen halten. Eine Rückkehr zu Zinsniveaus wie vor der Krise erscheint derzeit sehr unwahrscheinlich und auch nicht wünschenswert. In einem Umfeld, in dem die Zentralbanken den Höhepunkt des Zinsanhebungszyklus erreichen und eventuell das Zinsniveau in der Folge auch wieder leicht senken könnten, sollte der US-Dollar schwächer tendieren. Aufgrund der wirtschaftlichen und geopolitischen Herausforderungen wird er seine im aktuellen Jahr gewonnene Stärke im kommenden Jahr aber wohl nicht vollständig wieder abgeben. Unter dem Strich erscheint uns daher eine ausgewogene Risikoneigung in der Anlagestrategie für den Beginn des kommenden Jahres als angemessen.

Mit Blick auf unsere langfristige Anlagestrategie halten wir in einer Zeit, die von großen Umbrüchen und Spannungen geprägt ist, im Wesentlichen an den von uns vor Jahresfrist skizzierten sieben Megatrends2 fest, haben aber bei zwei grundsätzlichere Anpassungen vorgenommen. Da wir glauben, dass diesen Trends ein enormes Wachstumspotenzial innewohnt, richten wir traditionelle Portfolien sukzessive danach aus, um so eine erkennbare Outperformance erzielen zu können.

1Der Swapsatz ist jener feste Zinssatz in einem Zinsswap, welcher den Wert des Swaps null werden lässt, wobei ein Zinsswap ein Zinsderivat ist, bei dem zwei Vertragsparteien vereinbaren, zu bestimmten zukünftigen Zeitpunkten Zinszahlungen auf festgelegte Nennwerte auszutauschen.

2Megatrends beschreiben fundamentale gesellschaftliche, wirtschaftliche und politische Veränderungsprozesse, die viele Lebensbereiche über lange Zeit  erheblich bestimmen.