Im Dialog

Unsere lokalen Chief Investment Officer (CIOs) im Austausch mit unseren Kunden

Alessandro Caviglia
CIO Italy, UniCredit SpA
(Italien)

Italien

WIRD ES KURZFRISTIG EINE OBERGRENZE FÜR DEN GASPREIS IN DER EU GEBEN?

Wie bereits im Teil “Im Fokus“ beschrieben, wurden innerhalb der EU verschiedene Initiativen ergriffen, um den Schaden für die Wirtschaft zu begrenzen, der durch die derzeitige Energiekrise verursacht wird. Es gibt jedoch vor allem eine Initiative, über die viel gesprochen wird, über die allerdings bislang keine Einigung erzielt wurde. Es geht um das Thema der Gaspreisobergrenze. Wir glauben, dass die Implementierung einer solchen auf kurze Sicht sehr unwahrscheinlich ist. Die möglichen Formen der Umsetzung sind ebenso zahlreich, wie deren Wirksamkeit unterschiedlich ist.

Eine erste Möglichkeit stellt die Festlegung eines Höchstpreises für Gas dar, das für die Erzeugung von Energie durch thermoelektrische Kraftwerke verwendet wird. Der Strompreis wird im Allgemeinen durch die Produktionskosten der Kraftwerke bestimmt, eben weil diese die höchsten Kosten haben. Andere, nicht vom Gas abhängige Erzeugungsformen (z.B. erneuerbare Energien und Kernenergie) haben niedrigere Produktionskosten – und profitieren daher in solchen Phasen von größeren Margen. Erzeuger, die nicht vom Gas abhängig sind, könnten Gaskraftwerke „subventionieren“, aber im Allgemeinen ist der Anteil des Stroms, der aus Gas gewonnen wird, beträchtlich (in Italien liegt er beispielsweise bei 45%). Daher ist eine solche Intervention im Grunde nur möglich, wenn sie mit höheren öffentlichen Ausgaben verbunden ist, um den Abstand zwischen dem Marktpreis und dem Höchstpreis auszugleichen. Höhere öffentliche Ausgaben könnten sich in der Tat in höheren zukünftigen Steuern für Steuerzahler und Unternehmen niederschlagen, wodurch die kurzfristigen Vorteile zunichte gemacht würden. Diese Maßnahme wird jedoch bereits in einigen europäischen Ländern, wie z.B. in Spanien, angewandt.

Eine zweite Möglichkeit ist die Verankerung eines Höchstpreises für Gas, das über die Pipelines aus Russland eingeführt wird. Dies ist im Grunde eine Sanktionsmaßnahme, die Einstimmigkeit in der EU erfordern würde – eine Einstimmigkeit, die bis heute nicht erreicht wurde, insbesondere aufgrund des Widerstands der osteuropäischen Länder. Selbst unter der Annahme, dass Einstimmigkeit erzielt werden kann, wissen wir aus den jüngsten Ereignissen, dass die russische Reaktion eine totale Blockade der Exporte sein würde. Dies würde möglicherweise zu sofortigen Rationierungsmaßnahmen führen, die noch stärker ausfallen würden als die bisher angenommenen. Die Auswirkungen auf die Preise anderer Pipelines oder Flüssiggaslieferanten wären beträchtlich und würden wahrscheinlich die Verringerung des Volumens mehr als ausgleichen, so dass die Nettoauswirkungen für Verbraucher und Unternehmen negativ wären. Es stimmt zwar, dass auch Russland aufgrund der fehlenden Einnahmen unter erheblichen Auswirkungen zu leiden hätte, aber es würde auf ein „Wettrüsten“ hinauslaufen, das auf beiden Seiten enormen Schaden anrichten würde.

Eine dritte Möglichkeit ist die Festsetzung eines Höchstpreises für jede Art von Transaktion auf den nationalen Märkten. Ein erstes Problem ergibt sich dabei daraus, dass der Wettbewerb zwischen den europäischen Ländern bei fehlender Koordinierung zu wirtschaftlichen Verzerrungen und unkontrollierbaren politischen Spannungen führen würde. Um diese Probleme zu überwinden, sollte ein einziger Höchstpreis für die gesamte EU festgelegt werden. Aber auch in diesem Szenario müssen die Rationierung und die Verwaltung der Lagerbestände zentralisiert und koordiniert werden, und vor allem müssen Ausnahmen gemacht werden. So wird zum Beispiel erwartet, dass andere Produzenten als Russland und Flüssiggasexporteure in irgendeiner Form an die Marktpreise gekoppelt bleiben.

Wie sich zeigt, ist das Thema äußerst komplex, und es ist kein Zufall, dass noch keine endgültigen Vereinbarungen getroffen wurden bzw. die Diskussionen noch nicht abgeschlossen ist. Es lassen sich jedoch einige gemeinsame Elemente zwischen den verschiedenen Ausgestaltungsmöglichkeiten erkennen.

Zunächst einmal ist die Rationierung der Nachfrage ein Element, das in jedem Szenario in Betracht gezogen werden muss, da kurzfristige Lösungen nicht möglich sind. Der Bau neuer Gaspipelines und die Verflüssigung/Re-Gasifizierung von Flüssigerdgas sind Projekte, die mehrere Jahre dauern werden. Darüber hinaus sind Interventionen der öffentlichen Hand notwendig, weil höhere staatliche Ausgaben zum einen die schwächsten sozialen Schichten und die Industrien mit dem höchsten Energieverbrauch entlasten. Dagegen profitieren einige Erzeuger von erheblichen Gewinnspannen und müssen zur Stabilität des Wirtschaftsgefüges insgesamt beitragen. Schließlich wird die Festlegung einer europäischen Initiative dem Konstrukt insgesamt mehr Stabilität und externe Verhandlungsstärke verleihen und die Finanzierungskosten in der EU senken. Die politische und programmatische Initiative dazu existiert bereits: RePower EU, mit einem Budget von etwa 300 Milliarden Euro. Einige Studien führender internationaler Institutionen (u.a. des Internationalen Währungsfonds) schätzen, dass ein mit Blick auf die europäische Energiewende wirksames Vorhaben 10-15% des europäischen BIP (das sich auf etwa 16.000 Mrd. Euro beläuft), also ein Volumen zwischen 1.600 und 2.400 Mrd. Euro, haben sollte. Der Weg dürfte also lang und steinig sein. Nichstdestototz sind wir zuversichtlich, dass die aktuelle Krise, wie schon während der Pandemie, einen gewaltigen Anreiz für weitere Fortschritte in Bezug auf den Zusammenhalt und das Leistungsvermögen der EU darstellt.

Oliver Prinz
Co-CIO Bank Austria and Schoellerbank
(Österreich)

Österreich

FOLGT DER INFLATION EINE REZESSION – UND WAS SIND DIE FOLGEN FÜR ANLEGER?

Der Inflationsanstieg hat die globalen Notenbanken in seiner Dauer und Intensität überrascht, und die ökonomischen Folgen werden langsam aber sicher sichtbar. Der Krieg in der Ukraine und die anhaltenden Unterbrechungen in den weltweiten Lieferketten befeuern die Teuerung. Für Volkswirtschaften kommt die Teuerungswelle zu einem ungünstigen Zeitpunkt. Nach pandemiebedingt mageren Jahren lief der Wirtschaftsmotor gerade erst wieder auf Hochtouren; nun dämpfen Zinserhöhungen zur Bekämpfung der Inflation das Wirtschaftswachstum.

Die Notenbanken müssen eine schwierige Gratwanderung zwischen der Inflationsbekämpfung durch Zinserhöhungen und dem Management des Rezessionsrisikos absolvieren. Auch Regierungen sind gefordert, die gefürchtete Lohn-Preis-Spirale zu verhindern. Eine Blaupause aus vergangenen Wirtschaftszyklen existiert nicht. Die aktuelle Krise mit einer pandemiebedingt aufgestauten Nachfrage und preistreibenden Angebotsengpässen ist in dieser Form einzigartig.

Trotz vieler Parallelen ist die Situation jedoch mit jener in den 1970er-Jahren und der damals tiefgehenden Rezession in westlichen Industriestaaten nicht vergleichbar. Zentralbanken können die Zinsen heute nicht mehr so drastisch erhöhen, um die Inflation radikal zu bekämpfen. Notenbanken sind mit ihren geldpolitischen Maßnahmen auch eher imstande, die Nachfrageseite zu beeinflussen; der Flaschenhals liegt gegenwärtig jedoch auf der Angebotsseite. Die Gefahr einer tiefgehenden Rezession ist daher aus aktueller Sicht nicht erkennbar.

Für Anleger erscheint die Nachrichtenlage für Investments an den Börsen momentan sehr trist. Der Krieg in der Ukraine, die Teuerunsgswelle und die drohende Rezession trüben die Stimmung. Trotz der aktuell tristen Nachrichtenlage sollten Anleger kühlen Kopf bewahren und sich auf das Wesentliche besinnen. Viele Unternehmen verfügen über eine solide Finanzbasis, und die Gewinnentwicklung ist erstaunlich robust geblieben. Interessant sind vor allem Unternehmen, die über eine ausreichende Preisfestsetzungsmacht verfügen. Profitable Unternehmen werden diese Phase gut überstehen und auch weiterhin Gewinne abwerfen. Die Kurse werden sich mittelfristig sehr wahrscheinlich wieder erholen, so wie sie es auch in der Vergangenheit getan haben. Auch im Anleihenbereich gibt es Opportunitäten. Die Renditen sind stark gestiegen und bieten heute deutlich höhere Renditen als in den vergangenen Jahren. Auch in der Rentenveranlagung empfiehlt sich die Beimischung von realen Investments. Inflationsgeschützte Anleihen bieten eine Möglichkeit, von steigenden Inflationsraten zu profitieren.

Wichtig ist, sich nicht von den volatilen Märkten abschütteln zu lassen und keine überstürzten Entscheidungen zu treffen.

Philip Gisdakis
CIO UniCredit Bank GmbH
(HypoVereinsbank, Deutschland)

Deutschland

WIE STEHT ES UM DEN EUROPÄISCHEN FINANZSEKTOR?

Die wirtschaftliche Erholung in Europa nach der Pandemie ist durch die russische Invasion in der Ukraine ins Stocken geraten, und die geldpolitische Straffung hat in den vergangenen Monaten zu einer erheblichen Marktkorrektur geführt. Die Volatilität an den Finanzmärkten hat angesichts der hohen Unsicherheiten auf breiter Front zugenommen, ebenso die Korrelationen zwischen den einzelnen Vermögenswerten, insbesondere zwischen Aktien und Anleihen. Die Einschätzung einiger Marktteilnehmer, die immer noch von einer rasch sinkenden Inflation und einer nur leichten Wachstumsverlangsamung ausgehen, dürfte sich als zu optimistisch erweisen. Denn durch den starken Anstieg der Energie- und Rohstoffpreise hat der Krieg in der Ukraine den bereits bestehenden Inflationsdruck verstärkt, das Ungleichgewicht zwischen Angebot und Nachfrage verschärft und schwächt die Kaufkraft der Haushalte zunehmend.

Insbesondere in der Eurozone sehen sich Unternehmen anhaltendem Gegenwind durch hohe Inputpreise, höhere Finanzierungskosten und geringere Umsätze konfrontiert. Der daraus resultierende Margendruck könnte die Schuldendienstfähigkeit der Unternehmen belasten, vor allem derjenigen Unternehmen, die bereits jetzt hoch verschuldet sind und noch immer unter den Auswirkungen der Corona-Pandemie leiden. Hinzu kommt, dass Unternehmen des verarbeitenden Gewerbes infolge ihrer hohen Energieintensität anfälliger für die hohen Energiepreise sind. Die höhere Inflation belastet auch auf das verfügbare Einkommen der Haushalte, die einen zunehmend größeren Teil ihres Einkommens für den täglichen Konsum aufwenden müssen, was ihre Schuldendienstfähigkeit verringert. Insbesondere einkommensschwächere Haushalte müssen einen höheren Anteil ihres Einkommens für Lebensmittel und Energie ausgeben; sind sie damit besonders anfällig für die rasanten Preissteigerungen in diesen Segmenten.

Daüber hinaus mehren sich die Anzeichen, dass die Wohnimmobilienmärkte nach dem lange anhaltenden Aufwärtstrend im Euroraum angesichts der gestiegenen Hypothekenzinsen ebenfalls unter Druck kommen. Im ersten Quartal 2022 lag das Preiswachstum für Wohnimmobilien laut EZB im Euroraum noch bei 9,8%. Das ist die höchste nominale Wachstumsrate seit den frühen 1990er Jahren. Auch die Banken haben ihre Erwartungen hinsichtlich der Nachfrage nach Hypothekarkrediten gesenkt, was auf ein größeres Potenzial für Hauspreiskorrekturen hindeutet.

Mit Blick auf den Finanzsektor beobachten wir, dass die hohe Inflation und die sich eintrübenden Wirtschaftsaussichten in Kombination mit strengeren Finanzierungsbedingungen bereits bestehende Schwachstellen bei den Kreditnehmern verstärken. Höhere Ausfallwahrscheinlichkeiten bei Unternehmenskrediten und ein damit verbundener Anstieg der Risikovorsorge durch die Banken deuten auf erste Anzeichen eines höheren Kreditrisikos der Banken infolge der hohen Energiepreise hin. Die Kombination aus höheren Finanzierungskosten und geringerem Wirtschaftswachstum dürfte sich auch auf die Qualität der Kreditportfolien von Finanzinstituten negativ auswirken. Die drei europäischen Aufsichtsbehörden (EBA, EIOPA und ESMA) haben in ihrem Mitte September gemeinsamen vorgelegten Risikobericht Herbst 2022 betont, dass die sich verschlechternden Wirtschaftsaussichten, die hohe Inflation und die steigenden Energiepreise die Anfälligkeit des Finanzsektors insgesamt erhöht haben.

Positiv zu vermerken ist, sich die Rentabilität der Banken verbessert hat, was teilweise auf die höheren längerfristigen Zinssätze zurückzuführen ist. Steigende Erträge dürften die höheren Kreditkosten überkompensieren. Das Finanzsystem hat sich – auch durch die Reformen der vergangenen Dekade – bisher trotz der zunehmenden politischen und wirtschaftlichen Unsicherheit als äußerst widerstandsfähig erwiesen. Zwar ist davon auszugehen, dass die Phase erhöhter Unsicherheit noch eine Weile anhalten wird; dennoch rechnen wir nicht mit größeren Verwerfungen im europäischen Finanzsystem. Die aktuellen Wachstumsrevisionen bzw. -prognosen sind weniger hart als die Szenarien, die die EBA in ihrem Stresstest im vergangenen Jahr durchgespielt hat. Alles in allem haben die europäischen Banken bei diesem Stresstest gut abgeschnitten. Eine Rezession würde zwar potenziell die Profitabilität auf Seite der Banken etwas unter Druck setzen; die Kapital- und Liquiditätspuffer der meisten europäischen Banken sind aber groß genug, dass ein solches Szenario die Stabilität des Systems nicht gefährdet. Staatliche Unterstüzungsprogramm werden zudem helfen, die Auswirkungen der Energiekrise auf den Finanzsektor zu begrenzen.