CIO Kommentar

Gebt dem Frieden eine Chance

Manuela D‘Onofrio
Head of Group
Investment Strategy

Der Krieg in der Ukraine führt uns einmal mehr die Fragilität unserer Zivilisation vor Augen. Noch vor wenigen Wochen hätte sich wohl kaum jemand solch schreckliche Bilder mitten in Europa vorstellen können. Der Krieg bringt für die Beteiligten unermessliches Leid mit sich und die Ideale von Frieden, Freiheit und Wohlstand, auf denen die Europäische Union beruht und der die Ukrainer beitreten wollen, scheinen nun bedroht.

Umso wichtiger war die entschlossene Antwort des Westens und der EU auf die Invasion Russlands: Humanitäre, politische und militärische Hilfen für die Ukraine, weitreichende, scharfe Sanktionen gegen Russland, eine Kehrtwende bei uns mit Milliarden-Investitionen in die Verteidigung und Energiesicherheit und, last but not least, dem Plan, diese Initiativen gemeinsam zu finanzieren. Wahrlich eine Zeitenwende!

Philip Gisdakis
CIO UniCredit Bank GmbH
(HypoVereinsbank, Deutschland)

Der Krieg ist aber auch ein Schock für Wirtschaft und Märkte. Er kommt gerade einmal zwei Jahre nach dem letzten großen Schock, der Corona-Pandemie, von deren Folgen wir uns sowohl gesundheitspolitisch als auch wirtschaftlich immer noch erholen. Der wesentliche Transmissionskanal, über den der Ukraine-Konflikt unsere Wirtschaft und Märkte trifft, ist der rasante Anstieg der Energie-, speziell der Öl- und Gaspreise, müssen wir uns doch Sorgen um Lieferunterbrechungen machen. In Anbetracht der hohen Abhängigkeit der europäischen Energieversorgung von Russland ist dies nur zu verständlich. Neben den Energiekosten spielen aber auch andere Rohstoffklassen eine wichtige Rolle. Hier sind Industriemetalle wie Palladium und Nickel, aber auch Agrarstoffe (Weizen) und Düngemittel zu nennen. Auch deren Preise sind rasant gestiegen. Handelsbeschränkungen spielen aus gesamtwirtschaftlicher Perspektive eine eher nachgelagerte Rolle, da die Exportvolumina europäischer Güter und Dienstleistungen nach Russland und in die Ukraine vergleichsweise gering sind.

Die steigenden Energie- und Rohstoffpreise treffen die Weltwirtschaft zu einer Zeit, als die Inflationssorgen ohnehin schon eine große Herausforderung für Wirtschaft und Finanzmärkte darstellten – in den USA, aber auch in Europa. Dies bringt die Zentralbanken, allen voran die Europäische Zentralbank (EZB) und die US-amerikanische Federal Reserve (Fed), in eine schwierige Lage. Denn einerseits wollen sie die ultralockere Geldpolitik aus den Pandemiezeiten zurückfahren und haben zu Beginn des Jahres zum Teil schon entsprechende Schritte eingeleitet. Andererseits lassen sich die wesentlichen Inflationstreiber – nämlich steigende Energiekosten und Lieferkettenengpässe (welche insbesondere für Europa ausschlaggebend sind) – nicht durch geldpolitische Maßnahmen kurzfristig beeinflussen. Hinzu kommt, dass der Ukraine-Krieg und die Sanktionen nun die wirtschaftliche Erholung der Post-Coronaphase abbremsen. Dazu gesellt sich als Antwort auf die neuen strategischen Herausforderungen mit Blick auf Verteidigung und Energiesicherheit schon kurzfristig ein erheblicher zusätzlicher Investitionsaufwand.

Das Dilemma der Zentralbanken besteht darin, dass stark steigende Renditen als Folge einer zu straffen Geldpolitik den strukturellen Ausweg aus der Energiekrise und dem Problem der europäischen Sicherheitsarchitektur erschweren würden – die notwendigen Investitionen müssen ja finanziert werden. Eine zu lockere Geldpolitik hingegen würde Sorgen vor einer Verfestigung der Preisdynamik bis hin zu einer Lohn-Preis-Spirale auslösen. In den USA sind bereits erste Anzeichen einer solchen Entwicklung sichtbar, was für die Fed ein deutlich stringenteres geldpolitisches Vorgehen in diesem Jahr nahelegt als für die EZB.

Für die Finanzmärkte bedeutet das, dass insbesondere die Rentenmärkte einer schwer vorausschaubaren Dynamik unterworfen sein dürften. Das Spannungsfeld reicht von der Flucht in die sicheren Häfen in Zeiten hoher Unsicherheit (mit rückläufigen Renditen) bis zu der Aussicht auf eine straffere Geldpolitik mit steigenden Renditen, ohne dass die Realrenditen auf absehbare Zeit ihrem negativen Terrain entkommen könnten. Darüber hinaus müssen Investitionsprogramme im großen Stil finanziert werden, die zu einem Angebotsdruck auf der Anleiheseite führen dürften. In diesem Umfeld wird es interessant sein zu beobachten, wie sich die EZB letztlich positioniert. Denn die Zentralbank möchte ja perspektivisch die Anleihekaufprogramme zurückfahren.

Für Aktien hingegen sieht das Bild deutlich weniger komplex aus. Kurzfristig ist angesichts der hohen Risiken der angespannten sicherheits- und energiepolitischen Lage sicher ein stringentes Risikomanagement angebracht. Sollte sich der Nebel aber lichten und das wirtschaftliche Umfeld als halbwegs stabil erweisen, dürften Aktien gut unterstützt sein. Die Renditeerwartung, die Anleger an Aktien stellen, sollte das eingetrübte Wachstumsumfeld allerdings widerspiegeln.

Eine zentrale Lehre lässt sich auch aus der aktuellen Krise ziehen. Die Antwort auf die strategischen Herausforderungen sind technologischer Fortschritt und zielgerichtete Investitionen. Ähnliches galt schon für die Corona-Krise. Und ein gewichtiger Teil der jetzt erforderlichen Investitionen passen ohnehin in die Großwetterlage in Bezug auf die Maßnahmen gegen den Klimawandel. Warum also nicht das Richtige noch schneller tun? Und noch eine Erkenntnis in all dem Leid: die europäische Idee lebt und ist so stark wie seit langem nicht mehr.