CIO Kommentar

„Dann traten wir hinaus und sahen die Sterne“

Manuela D‘Onofrio
Head of Group
Investment Strategy

2021 war ein weiteres turbulentes Jahr mit zahlreichen Höhen und Tiefen. Der Jahresauftakt war geprägt von der Aussicht auf rasche Impfungen gegen Corona. In Kontinentaleuropa kam die Kampagne indes nur schleppend in Gang, nahm dann jedoch Fahrt auf. Die Impferfolge brachten ein Stück weit Normalität zurück und führten zu einer kräftigen wirtschaftlichen Erholung. An den Börsen sorgte das für neue Höhenflüge. Sowohl europäische als auch US-Aktienindizes erreichten zuletzt neue Allzeithochs. Unterbrochen wurde der Steigflug allerdings immer wieder von kleineren Rücksetzern, so zum Beispiel im Spätsommer, als die Immobilienkrise in China den Märkten zusetzte, oder zuletzt aufgrund der Sorge vor der vierten Corona-Welle bzw. dem Aufkommen der Omikron-Variante.

Ein Folgeeffekt der wirtschaftlichen Erholung war ein unerwartet rasanter Inflationsanstieg. Die Teuerung erreichte Niveaus wie schon seit Jahrzehnten nicht mehr. Dies war zum einen auf Basiseffekte zurückzuführen (also die Tatsache, dass die Jahresraten auf sehr niedrige Preisniveaus im vergangenen Jahr referenzierten), zum anderen auch auf stark steigende Energiepreise sowie Lieferengpässe. Dabei fiel die Inflationsentwicklung in den USA noch prononcierter aus als in Europa. Die amerikanische Zentralbank bereitet deswegen einen Kurswechsel vor. Es wird weithin erwartet, dass die Federal Reserve die Nettozukäufe ihrer Anleihekaufprogramme in der beiden kommenden Quartalen auf Null zurückfährt. Für den Sommer nächsten Jahres rechnen wir zudem mit einer ersten Zinserhöhung, der bis Ende 2023 vier weitere folgen sollten, möglicherweise auch mehr. Auch die Europäische Zentralbank dürfte Teile der außergewöhnlichen Maßnahmen zur Abfederung der Pandemie zurücknehmen. So sollte Ende März 2022 aller Voraussicht nach das PEPP-Programm (Pandemic Emergency Purchase Programme) enden. Die EZB wird allerdings sicherstellen, dass es nicht zu einem abrupten Ende der geldpolitschen Unterstützung im Euroraum kommt. Erste Zinserhöhungen sind nicht vor 2024 zu erwarten.

Dr. Philip Gisdakis
Chefanlagestratege (Chief Investment Officer - CIO) der HypoVereinsbank

Aus wirtschaftlicher Perspektive sollte das kommende Jahr ein solides Umfeld für die Kapitalmärkte bieten. Die inflationsbereinigten Wachstumsraten dürften zwar niedriger ausfallen als im ersten Jahr der Post-Pandemieerholung, sie werden aber deutlich über dem Trend von vor Corona liegen, insbesondere in Europa. Demnach sollten auch die Unternehmensgewinne spürbar wachsen, bei uns vermutlich sogar knapp zweistellig. Dies dürfte europäischen Aktien weiteren Rückenwind bescheren, zumal sie im internationalen Vergleich nicht teuer sind. Die Kurs-Gewinn-Verhältnisse in der Größenordnung von 15 (MSCI Europe) liegen deutlich unter den ihrer US-Pendants (MSCI US: knapp 22). Dabei sind die europäischen Bewertungen 2021 sogar zurückgegangen – und das, obwohl die Kurse spürbar zulegten. Sie konnten aber nicht mit dem Gewinnwachstum mithalten. Europäische Aktien stehen also nicht nur aus fundamentaler Sicht gut da, sie sind auch mit Blick auf die Bewertung interessant – zumal die übrigen Anlageklassen wenig Potential versprechen. Wir empfehlen deswegen, Aktien im Portfolio überzugewichten und präferieren dabei europäische Titel.

Anleihen bleiben in einem Umfeld mit steigenden Renditen (beginnende Normalisierung der Geldpolitik) und immer noch vergleichsweise hohen Inflationsraten wenig interessant. Wir lassen festverzinsliche Wertpapiere daher auf „untergewichten“. Dennoch gehören Anleihen in ein gut diversifiziertes Portfolio. Trotz eines soliden Wachstumsausblicks gibt es nämlich Risikofaktoren, die die Stimmung an den Börsen immer wieder mal eintrüben dürften. In einem solchen Umfeld ist mit erhöhter Volatilität zu rechnen. Anleihen können hier Stabilität bringen und eröffnen Anlegern die Möglichkeit, in schwächeren Phasen Umschichtungen in Aktien vorzunehmen, um von günstigeren Einstiegskursen zu profitieren.

Einer der größten Risikofaktoren 2022 ist die Pandemie selbst. Mit der hochinfektiösen Omikron-Variante kommt ein neuer Unsicherheitsfaktor hinzu. Mittelfristig sollten sich die wirtschaftlichen Folgen allerdings in Grenzen halten. Ein weiterer wichtiger Unsicherheitsfaktor sind die Lieferengpässe, unter denen vor allem die europäische Exportwirtschaft leidet, insbesondere die deutsche. Sollten sich diese Engpässe auflösen, ist mit einem spürbaren Nachholdbedarf zu rechnen – im umgekehrten Fall, wenn z.B. die Omikron-Variante den globalen Lieferketten nochmal zusetzen würde, mit einer zwischenzeitlichen Verschärfung. Aber auch das Kapitalmarktumfeld selbst könnte zu einem Thema werden, sind steigende Renditen doch eine Belastung für hochbewertete Titel. Dies könnte insbesondere Teile des Technologiesegmentes in den USA einbremsen und sich auf die Stimmung in der Breite auswirken. Schließlich ist ein substanzieller Teil der US-Aktienrally im abgelaufenen Jahr auf einige wenige, zum Teil sehr hoch bewertete Unternehmen zurückzuführen.

Die größte Hoffnung ist jedoch, dass die Pandemie im kommenden Jahr endgültig besiegt werden und unser aller Leben wieder in normalere Bahnen zurückkehren kann. Dafür sind allerdings noch Anstrengungen notwendig, wie zum Beispiel das Schließen der Impflücken, die in Teilen Europas noch immer zu groß sind. Sollte dies gelingen, steht einem guten Jahr 2022 nichts im Wege.

In diesem Sinne wünschen wir Ihnen ein frohes Weihnachtsfest und ein gutes, vor allem gesundes Jahr 2022. Wir danken Ihnen für Ihr Vertrauen.