CIO Kommentar

Ruhe bewahren und weitermachen

Manuela D‘Onofrio
Head of Group
Investment Strategy

Es war die Sorge vor einem sich abschwächenden Wachstum und gleichzeitig anziehender Inflation, die den Aktienmärkten nach der Sommerpause mächtig zugesetzt hat. Lieferkettenprobleme, rasant steigende Transportkosten und explodierende Energiepreise, Arbeitskräftemangel sowie die Furcht vor einer ausgeprägten Immobilienkrise in China sorgten für reichlich Nervosität an den Aktienmärkten. Im September gaben die europäischen Indizes um bis zu 4% nach, ihre US-Pendants sogar noch etwas mehr. Gleichzeitig zogen die Staatsanleiherenditen spürbar an. Im Oktober konnten Aktien wieder zulegen und ihre Vormonatsverluste wettmachen. Die Rentenmärkte traten allerdings nur auf der Stelle. Die Volatilität an den Märkten blieb indes hoch.

Dahinter steckt die Tatsache, dass die Industrieländer ihren Wachstumshöhepunkt der Post-Pandemie-Erholung wohl hinter sich gelassen haben. In Europa legte die Wirtschaft im Frühjahr und Sommer um gut 2% gegenüber dem jeweiligen Vorquartal zu. Annualisiert, das heißt aufs Jahr hochgerechnet, sind das rund 8½%. Den Konsensschätzungen zufolge dürfte sich das Wachstumstempo im laufenden und den beiden Folgequartalen im Schnitt allerdings halbieren und im zweiten Halbjahr 2022 dann auf annualisiert nur noch 2% zurückfallen. Aber selbst das ist immer noch mehr als das Trendwachstum von vor der Pandemie. In den USA liegt der Höhepunkt der Wachstumserholung schon etwas weiter zurück. In Frühjahr 2021 wuchs die US-Wirtschaft um annualisiert 6,7%. Die Dynamik hat sich aber schon diesen Sommer deutlich verlangsamt, dürfte aber auch im kommenden Halbjahr über Potenzial bleiben. Für die Investoren sind die Aussichten damit komplex und zwiespältig. Einerseits sollte auch im nächsten Jahr – so zumindest die Konsenserwartungen – die Wachstumsdynamik über der von vor der Pandemie liegen, was Aktien eigentlich unterstützt, andererseits lässt die Wachstumsdynamik aber spürbar nach und die Risiken nehmen zu. Das sorgt für Gegenwind.

Philip Gisdakis
CIO UniCredit Bank GmbH
(HypoVereinsbank, Deutschland)

In so einem Umfeld ist es hilfreich, in Szenarien zu denken. In unserem Basisszenario (mit einer aus unserer Sicht höheren Eintrittswahrscheinlichkeit) gehen wir – wie der Konsens – von einer sukzessiven Wachstumsverlangsamung aus, erwarten aber noch Zuwachsraten über dem Trend von vor der Pandemie. Damit bleiben Aktien gut unterstützt und sind aufgrund des erwartbaren Renditeanstiegs auch interessanter als Rentenpapiere. Diese Einschätzung rechtfertig also eine Übergewichtung von Aktien gegenüber festverzinslichen Wertpapieren. Da die Aussichten in einem sich abkühlenden Wirtschaftsumfeld aber nicht mehr so rosig sind wie im Aufwind der Erholung, haben wir die Übergewichtung etwas reduziert. Um eine Analogie aus dem Straßenverkehr zu bemühen: Steigt die Verkehrsdichte, nimmt man etwas Gas weg und hält Ausschau nach Gefahrensituationen. Wirklich auf die Bremse steigen muss man aber nicht.

Wie sieht nun das Risikoszenario aus? Die belastenden Faktoren sind weithin bekannt. Zu der ohnehin angelegten Wachstumsabkühlung nach dem Höhepunkt der Post-Corona-Erholung gesellen sich Ängste vor noch höheren Inflationsraten, was wiederum das Wachstum einbremst. Dabei könnte die Inflationsdynamik durch weiter steigende Energiepreise (beispielsweise durch einen besonders kalten Winter), anhaltende Lieferengpässe, hoch bleibende Transportkosten sowie neue Corona-Infektionswellen im Herbst und Winter noch verschärft werden. Darüber hinaus könnte die globale Wachstumsdynamik auch durch eine verschärfte Immobilienkrise in China stärker abkühlen als bislang veranschlagt. Das Angstwort, das sich hinter all dem verbirgt, lautet Stagflation, also eine stagnierende Wirtschaft bei gleichzeitig stark steigender Inflation. Ein solches Umfeld würde nicht nur den Zentralbanken mächtig zusetzen – inflationsbedingt müssten sie die Geldpolitik straffen1, was die schwächelnde Wirtschaft noch mehr einbremst; eine Lockerung hingegen würde realwirtschaftlich verpuffen, gleichzeitig aber die Inflation schüren –, sondern auch den Anlegern Sorge bereiten. Steigende Inflation belastet die Anleihenmärkte, während die darbende Wirtschaft den Aktien zu schaffen macht. Die Diversifikation über die Assetklassen hinweg funktioniert dann nicht mehr richtig.

Wir halten eine wirklich stagflationäre Entwicklung jedoch für wenig wahrscheinlich. Es wäre deshalb ein geldpolitischer Fehler, in einen nur temporären Inflationsschub hinein zu straffen. Allerdings birgt die Argumentation der Zentralbanken, die auf die zeitliche Begrenzung der inflationären Kräfte („transitorische Inflation“) abstellt, eine gewisse Gefahr. Denn niemand weiß, wie lange die Phase anhalten wird. Es gibt aber noch einen weiteren Grund für die Zentralbanken ruhig zu bleiben. Die aktuell hohen Inflationsraten sind zum einen Basiseffekten geschuldet (im vergangenen Jahr war die Inflation niedrig, zum Teil sogar negativ), zum anderen den bereits geschilderten Angebotsschocks. Bei Letzteren sprechen Ökonomen von „cost push“-Inflation. Mit geldpolitischer Straffung kann die Zentralbank aber keine Angebotsprobleme lösen (die OPEC würde beispielsweise die Fördermengen nicht erhöhen, wenn die Zentralbanken in den Industrieländer ihre Zinsen anheben). Demnach lautet die Devise: Nerven bewahren, auch wenn die Inflation länger als erwartet hoch bleiben sollte. Das bedeutet im Übrigen nicht, dass die Zentralbanken pandemiebedingte Maßnahmen, wie z.B. die Anleihekaufprogramme, nicht sukzessive zurückführen sollten. Das „Tapering“, in den USA ist es ohnehin schon eingepreist, dürfte aber nicht allzu große Verwerfungen verursachen, wenn die Zentralbanken schrittweise und behutsam vorgehen. Zusätzliche geldpolitische Straffung erscheint auf absehbare Zeit aber nicht angebracht.

1) Unmittelbaren Straffungsbedarf gibt es nicht, da sowohl die Fed als auch die EZB sich nun symmetrische Inflationsziele gegeben haben und damit das Überschießen der Inflation über 2% für einen gewissen Zeitraum tolerieren.